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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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nicht richtig im Kopf sein, sie näht dir die Nähte mit rotem Garn zu … Ich komme draußen zurecht, sagte Franz, danke
     der Nachfrage. War lange nicht mehr hier, die Nazis waren zwar Säue, aber das Stadion haben sie doch ordentlich hingekriegt
     … Ja, klar, sagte Niklas Heldt unsinnigerweise, er sollte eben recht haben, und weil er sich verstellt hatte, schlug Heldt
     zornig den Jackenkragen hoch, eine heftige Geste, die Franz ganz sicher nicht entgangen war, sie unterhielten sich eine Weile
     über das Geld, das durch die Finger rann, und über die ansteckende Blödheit, seine Zeit damit zu vertun, daß man zum Erbrechen
     süße Modecocktails trank, Franz hatte nicht nur nichts dagegen, er stopfte sich von morgens bis abends mit süßem Zeug voll,
     wenn es so weiterginge, müßte er in einem Laden für Mollige einkaufen … Seine eigenen Ansichten ödeten Heldt an, und wieso
     sollte er also an Franz’ Einsichten interessiert sein, er kannte den Grund nicht, wieso der Mann ihn an diesen gottverlassenen
     Ort bestellt hatte, vielleicht wollte er einem Gefühl nachspüren – die Melancholie eines Molligen. Der Mann tunkte Weißbrot
     in eine dicke Soße aus geräuchertem Dorschrogen, löffelte Garnelencurry und aß zum Nachtisch Pflaumengrütze, er hatte eine
     dieser Freßorgien miterleben müssen, kurz bevor man ihn wegsperrte – was konnte er also von ihm erwarten? Nichts, gar nichts.
     Seelenteer, Franz schwitzte Seelenteer aus, und er sagte es ihm, ohne Vorwarnung, ohne Abschwächung; und jetzt grinste der
     Mann, als wäre er dadurch sehr geschmeichelt. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte mit aufgerissenem Mund, und da verstand
     Heldt, daß er nicht anders konnte, als die verteerte Seele zu seinem besten Freund zu machen. Beim nächsten Mal würde er ihm
     zurufen: Mensch Franz, lach mal, daß dir das Maul aufklappt, er würde dann blitzschnell ein Foto schießen und später entdecken,
     daß er manchmal aussah wie eine tote Forelle, die man mit Küchenpapier trockengetupft hatte.
    Ich will ’n Ding drehen, sagte er plötzlich, da schon wieder, da schon wieder diese altmodischen Worte, Heldt starrte ihn
     an, und fast hätte er gesagt: Tu’s nicht, Franz kam ihm aber zuvor und erzählte von dem schönen Leben in seiner Stadt, Geld
     hatte er erst einmal genug, und Jacinta, seine Holde (!), eröffnete ihm gestern kurz vorm Einschlafen, daß sie neun ihrer
     tausend Talente nicht vergeuden wollte, als da wären: Gescheitheit, Schlichtheit, Stimmigkeit, Unwurstigkeit, Springteufelmunterkeit,
     Hoffnungsseligkeit, Prunklosigkeit, Seelentümlichkeit, Linealhaftigkeit. Er, Franz, hätte im Dunkeln gelegen, kurz nachgedacht
     und sie auf die letzten beiden Talente angesprochen, Jacinta ließ einige Minuten verstreichen und sagte, seelentümlich wäre
     sie, weil sie an das Seelentum glaubte, und linealhaft, weil sie sich nicht in Schleifen, nicht in Bögen, aber in kurzen und
     langen Geraden fortbewegte. Und sie hatte als kleines Mädchen in Werkkunde das Leihlineal aus Holz eingesteckt und wäre also,
     im strengen Sinne, zur Diebin geworden.
    Aus dem Munde von Franz hörte es sich an, als hätte er der raunenden Erde ein baldiges Vorkommnis abgelauscht, er verlor sein
     Herz an eine Frau, die sich ihm anschloß, am Tage, da er nach ihm, dem Jäger der Schwärmer, suchte, und Heldt sann nach über
     diesen heutigen mistigen Tag des schäumenden Himmels, an den Türmen entdeckte er Schießscharten, von weitem sahen sie aus
     wie schwarze Striche auf hellem Grund – alles Imposante war ihm ein Greuel, und wollte er sich wirklich klein fühlen beim
     Anblick der Naziarena, wollte er wirklich Franz lauschen, dem Unbekümmerten, der jetzt erzählte, daß die Tochter der Freundin
     der besten Freundin von Jacinta um kurz nach sechs Uhr vom fünften Stock eines Kulturzentrums in den Tod gesprungen war, Stunden
     später hätten eine Lehrerin und ihre ausländische Schulgruppe die Leiche gesehen, und sie alle hätten erst einmal laut geschrien.
     Eigentlich kam es schlimmer, sagte Franz und blickte Heldtmißmutig an, ein Mann und eine Frau, ein Ehepaar schlich dort zufällig herum, und der Mann beruhigte die Schüler mit den
     Worten, das wäre eine Kunstaktion, die Frau am Boden wäre nicht tot, sie würde sie auf die Probe stellen, sie würde sie alle
     auf gut deutsch verarschen, doch ein Schüler, der wohl Filmtote von echten Toten unterscheiden konnte, kniete sich an der
     Leiche hin und sagte,

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