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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Vorhaben!
    Kleine Triumphe, verkettet zu einer Girlande, machen einen großen Erfolg – wieder ein weiser Spruch, auf mein Unbehagen ob
     seiner Verklärung dieser seiner Geburtsstadt nahm er keine Rücksicht, im Gegenteil, es schien ihn anzustacheln, er erklärte
     mir, daß der sogenannte Stuhltourist am Ende Budapest viel besser verstünde als der von einer Attraktion zur nächsten flitzende
     Urlauber, was wollte ich also mit meinerfreien Zeit anfangen? Gute Frage, dachte ich, was tue ich hier? Ich fliehe. Wovor? Davor, daß Aneschka mich zu sehr an sich
     bindet. Und daß ich nur noch darüber rätsele, wieso sie mich nicht mehr küßt. Bukarest, nein, Budapest: Ein heißer Ofen. War
     das ein gutes Zeichen, schon am Tag der Ankunft von einem Ungarn angesprochen zu werden, einem Weisheitsbesessenen, der sich
     mit Passanten in der fast unverständlichsten Sprache der Welt unterhielt; war das ein schlechtes Zeichen, daß ein Hund mit
     einem Menschengesicht erst an meiner Schuhspitze, dann am Hosensaum und schließlich an meinen Fingern schnüffelte: Ich zog
     die Hunde an.
    Ich verstand viele Dinge nicht. Eine Straße im Stadtzentrum hieß einfach nur O, ein O mit einem rechtsgeneigten Strich über
     dem Buchstaben. Am Himmel über Ungarn gab es andere Sternbilder, zwei oder drei Sterne, die eigentlich, neben anderen Sternen,
     den Großen Bären bildeten, wurden dem Sternbild der Großen Kutsche zugeschlagen. Einem nörgelnden Kleinkind drohte man, die
     Eule mit dem kupfernen Penis würde es holen, wenn es sich nicht sofort bettfertig machte. Arad sagte nie, es ginge ihm gut
     oder schlecht, er drückte es in Prozentzahlen aus, einundsechzig Prozent Wohlbefinden, neununddreißig Prozent schlimme Laune
     und bestimmt noch einige versteckte Prozente in den Lungen. Ich hatte ihn mit der scherzhaften Bemerkung überrascht, daß damals
     im Magyarenland bestimmt mehr Mongolen seßhaft geworden waren, als es die offizielle Geschichtsschreibung vorgab, die Ungarn
     hätten wenig mit den Osmanen oder den Habsburgern gemein. Die große Katastrophe, flüsterte er, du mußt deine Gedanken für
     dich behalten, wir wären bei dem Mongolensturm fast untergegangen, und ich weiß nicht, ob es Gott oder der Teufel war, der
     uns davor bewahrt hat … Also doch kein Intellektueller, dachte ich, vielleicht ein schamhafter Mann, der gewillt war, das
     Liederliche vom Schönanzusehenden zu scheiden.
    Heute aß er zum Frühstück das Gericht Saures Ferkelklein, der Koch hatte saure Sahne mit Mehl verrührt und das Fleisch mit
     sauren Estragonblättern gewürzt, und da Arad im Mund das Fleisch vom Knochen trennte und der Knochen gegen seine Zähne klackte,
     wandte ich mich ab. Junge Frauen schlenderten rauchend durch die Straßen, und wenn der Oberleitungsbus an der Haltestelle
     anhielt, schnippten sie die Zigarette mit dem langen lackierten Nagel ihres Mittelfingers zu dem Boden, daß die Glut in viele
     Gluten zerstob – so war das hier also.
    Nach dem Zwangsaufenthalt in Budapest würde ich fast mein ganzes Geld ausgegeben haben, als Schuhmacher taugte ich nichts,
     ich mußte mich nach einer Arbeit umsehen, was konnte sich ein Studienabbrecher erhoffen? Woran denkst du? sagte Arad, und
     ich sagte, daß gerade sieben Prozent Unwohlsein meine schönen Gedanken verdrängten. Da musterte er mich, schob seinen Teller
     von sich, warf einen kurzen Blick auf seine furchtbar glitzernde Armbanduhr und bat um die Rechnung. Ich werde dich zu einem
     Treffen mitnehmen, sagte er, du verstehst unsere Sprache nicht, deshalb wird es für dich ein leichtes sein, zu schweigen,
     die ganze Zeit nur zu schweigen. Ich treffe mich mit einem Mann und einer Frau, er heißt Zoltan, sie heißt Eszter, mehr mußt
     du nicht wissen. Du stehst rechts hinter mir, du erstarrst zu einem Laternenpfahl, und du darfst während der ganzen Unterredung
     auf keinen Fall dich umschauen. Es stehen an dem Treffpunkt Standbilder aus der kommunistischen Zeit, sie könnten für dich
     ein Anreiz sein, sie wie gebannt anzustarren …
    Ich willigte ein, ich hatte nichts zu tun, in dieser sengenden Hitze wollte ich mich führen lassen, doch ich bat ihn darum,
     mir dabei zu helfen, für eine Bekannte aus Prag eine Stalinbüste aufzutreiben, sie hegte nicht wirklich Sympathien für den
     zweiteifrigsten Schlächter aller Zeiten, aber sie würde ihn als einen georgischen Prominenten schätzen. Arad spuckte angewidertaus, hakte sich bei mir ein und sagte, es täte ihm

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