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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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den eingeschalteten Standventilator, den sie auf die Fensterbank
     gestellt hatte, um die Fliegen am Hineinschwirren zu hindern, sie dachte an ihren Halbbruder, dem man schon die Niederlage
     ansah, trotz der schönen Zigeunermänner wurden sie gejagt und geschunden, die milden Bürger suchten den Wachspfropfenheiligen
     auf, um ihn ihres Beistands zu versichern, und der Irre sprach von dem Erdspalt, der alles tilgte, was verkehrt und verkommen
     war. Sie aber hatte nicht einmal die Verkehrten von den Verkommenen geschieden, sie aber hatte vor Maria, der wahren Rosenstreuerin,
     gekniet. Und man trug ihr zu, daß bald die Anbeter zur Festung ziehen wollten, um nicht etwa einen Schloßherrn zur Aufgabe
     zu zwingen: Sie wollten mit den Fackeln in der Hand schweigend stehen und stehend schweigen. Danubia Donau Duna. Vom Donnerschlag
     bin ich heute nacht aufgewacht, dachte sie, das alles hat nichts zu bedeuten; auf der Kaimauerkrone am Korso waren alte abgelaufene
     Schuhe nebeneinandergestellt, immer nur der linke oder rechte Schuh, welcher Aberglaube steckte dahinter, das alles ergab
     keinen Sinn. Der Deutsche, dachte sie, er hätte früher oder später meine Stadt besuchen sollen, er ist an den falschen Mann
     geraten, und von unserer aller Geraune bekam er Kopfschmerzen,doch ich raunte ihm nur zu, daß all das nichts zu bedeuten hat, und er glaubte, er wäre von Fremden umstellt und müßte sich
     mit einem Tarnzeichen ausweisen …
    Die Frau stieß mit einer Touristin zusammen, die ob des seltsamen Geruchs der Frau mit der schiefen Perücke schnell weiterlief,
     ein chemischer Geruch war das, Eszter schaute ihr kurz nach, um dann vorsichtshalber in einer Gasse zu verschwinden und erst
     nach einer halben Stunde wieder aufzutauchen – war es richtig, daß sie sich unterhalb des Halses mit Benzin übergossen hatte,
     war es richtig, daß sie auf einen Turulvogel der Freiheitsbrücke klettern wollte, um als lebende Fackel hinabzuspringen in
     den Fluß? Und da die Zweifel kamen und gingen und sie wieder anfielen, da sie die Turul von weitem sah, nicht Spatz, nicht
     Elster, nicht Falke, nicht Adler, umgab sie geballte Luft, eine Luft, die sich um den Leib staute, wenn die Seele einen Riß
     einen Spalt einen Durchschlupf fand, und von ihrer Seele Atem gestreift, schritt Eszter wieder zurück in die Gasse, das Sturmfeuerzeug
     in ihrer Manteltasche …
    Sie griff danach und warf es in hohem Bogen fort, vielmehr zielte sie auf eine Mülltonne und traf sie, ein letztes Mal spürte
     sie einen leisen Hauch ihr Gesicht streifen, der Riß der Spalt der Durchschlupf war gekittet: Eszter hob eine blinkende Scherbe
     vom Boden auf, sie konnte ihr trübes Spiegelbild erkennen, nach einigen Handgriffen saß die Perücke ordentlich auf ihrem Kopf,
     und sie trat den Heimweg an. (Es hätte ihr gelingen können, am achten August, der Rotte des Hinterhofirren durch ihren Sturz
     vom Turulvogel zu zeigen, daß sie nicht alle Seelen zum furchtsamen Leben anleiten konnten. Aber war es das wert? Nein. Die
     Kämpfe dieser Tage werden nicht in Erinnerung bleiben. Eine Untat, dem einen ist sie Verbrechen, dem anderen ist sie Sünde.
     Die milden Bürger werden dem Irren abschwören, seine Bande wird zerschlagen werden, und die Seelen, die nicht schon durch
     einen plötzlichaufgerissenen Spalt entschlüpft sind, bleiben in den schönen Körpern. Eszter wird in ihrer Wohnung als erstes den Standventilator
     abstellen.)

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    Einmal hatte sie beim Küssen innegehalten und gesagt: Deine Brusthaare riechen nach alter Decke, ich hatte gelacht, sie hatte
     gelacht. So viele Worte, um einen schlechten Geruch, eine Enttäuschung, eine Nebensache zu übergehen, so viele ungesagte Worte,
     und es reichte mir aber jetzt. Unten zogen Männer in gestreiften Bademänteln und bunten perforierten Plastikgaloschen vorbei,
     die echten Ungarn aus der Hauptstadt, die nicht nach Hinweisschildern Ausschau halten mußten, um den Weg zum Wasser zu finden
     – ich war in Sicherheit.
    Ein Deutscher am Plattensee fiel, so hoffte ich, nicht weiter auf, ich trug, wie andere Hotelgäste auch, am Handgelenk das
     blaue Schlüsselband mit dem Plastikzapfen, den man auf das Schloßfeld der Zimmertür hielt, um in die Suite einzutreten. Eine
     Suite zum normalen Tarif. Ich aß aus der Dose Erdnüsse und achtete nicht auf die Sommerspinnen in den Ritzen der Balkonwände,
     vor die Panoramafenster der Apartments gegenüber hatte man Sichtblenden gehängt, sie

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