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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Stürze der aufgebrachten Ungarn, ihre blutigen Spiele um Brot und Salz, die Gefechte der Nachtgeister am hellichten Tag
     … das alles ging mich nichts an. Auch wenn sie mir meinen Unwillen ansah, sie verabredete sich zu einem Abendspaziergang durch
     das Städtchen, es war mir recht, denn man mußte zum Abendessen in geziemender Kleidung erscheinen, und ich hatte keine Lust,
     von Kellnern im Eßsaal zurechtgewiesen zu werden. Ich schlief, ich wachte auf, ich schlief weiter und verbrachte eine Stunde
     auf dem Balkon, ich achtete darauf, die Spinnweben nicht versehentlich zu zerstören, schließlich stieg ich die Treppen hinunter
     und wartete eine halbe Stunde, ich fragte an der Rezeption, ob man mir eine Nachricht hinterlassen hatte, ich suchte nach
     ihr am Seestrand, in der Bar, im Billardzimmer und sogar in der Schwimmhalle, doch der Bademeister hatte nur Verachtung für
     mich übrig, einen Mann, der eine rosenbekränzte Dame in die Flucht schlug. Sie wußten es also auch.
    Dann gab ich die Suche auf, verließ den Bunker der moralgestählten Ungarn und folgte der Erkel-Ferenc-Straße, die Wandelallee
     war gesäumt von Strandbars und kleinen Freiluftpinten, die am Gitterzaun befestigten Strohmatten hingen schlaff herab, vielleicht
     hatte man die Strohbündel mit Absicht heruntergezerrt, damit die jungen Säufer auf der Terrasse die vorbeiziehenden jungen
     Frauen in Miniröcken johlend begrüßen konnten. Der glitzerstaubbedeckte Schund zog die Touristen an, und ich dachte wieder
     an meinen Schuhmachermeister und seinen Haß auf Mitbringsel aus den Urlaubsorten dieser Welt, und je mehr ich mich in den
     unbeleuchtetenGassen verwirrte, desto größer wurde mein Haß, ein Haß, der sich gegen mich richtete, ein Selbsthaß, den ich empfand, weil
     ich nicht imstande war, Umrißzeichnungen von Füßen zu machen.
    Die laute Jahrmarktsmusik peitschte mich an, ich lief an den Ständen vorbei bis zu einer großen umzäumten Baustelle, ein großer
     Kindergarten wurde gebaut, ich sah das Indianerfort und die Winnetouhütte, die Haltestange des Rundlaufpilzes war zerbrochen
     und der Reifen der Schaukel zerschnitten, unter der Berg-und-Tal-Rutschbahn umschlangen sich ein Mann und eine Frau, und als
     sie mich am Gitterzaun erblickte, stieß sie ihren Freund an. Ich bog in die Gegenrichtung ab und merkte zu spät, daß mich
     völlige Dunkelheit einhüllte. Ein Vergnügungsdampfer steuerte langsam die Anlegestelle an, auch wenn ich vor Angst einen trockenen
     Mund bekam, ich mußte den dunklen Kiesweg gehen, vorbei an den leeren Parkbänken, vorbei an den Ziersträuchern, es würde schon
     keiner auf mich lauern, ich würde unversehrt die Anlegestelle erreichen. Und ich kam auch unverletzt dort an und geriet in
     einen Haufen betrunkener Jugendlicher. Sie ließen mich passieren, sie waren wegen eines deutschen Urlaubers nicht beunruhigt.
     Auf dem Weg zurück zum Hotel traf ich meinen Landsmann, der mich zu einem Bordellbesuch überreden wollte, ich lehnte dankend
     ab, er sagte, wir könnten uns dann zum Altmännerschreiten auf den Steinen verabreden, und als ich von meiner Abfahrt am drauffolgenden
     Tag sprach, gab er mir den Rat, meine Entscheidung zu überdenken, man bräuchte zwei Tage der Gewöhnung, um sich dann anzupassen,
     man paßte sich doch überall an, überall und zu jeder Zeit, und war es denn nicht so, daß die Ungarn hier in Siofok uns Deutschen
     wirklich entgegenkamen. Ich zeigte auf mein Ohr, und bevor ich ihm ausweichen konnte, faßte er meine Ohren und kniff mir zum
     Abschied in die Wange.
    Die Hölle brennt, und wir pflegen unser Werkzeug, dachteich und fing an zu laufen – und am nächsten Morgen lief ich zum Bahnhof, ich hatte auf das Frühstück verzichtet und wie ein
     rechtschaffener Bürger meine Rechnung bezahlt … (In Ferdas Schilderung fehlt eine Nacht. In dieser Nacht zählte er nicht die
     Spinnen, und er saß auch nicht auf der Bettkante und ließ sich seine Füße vom Licht der Lampe des Minibarkühlschranks bescheinen.
     Er nahm Reißaus, so wie auch Eszter geflohen war, denn es ergab keinen Sinn, aufgerissen von den großen Träumen, in kleinen
     Flegeleien sein Heil zu suchen. In dieser Nacht versteckten sich Ferda und Eszter in ihren Zimmern, Eszter reiste in aller
     Frühe ab, sie würde den Mann, von dem sie in manchen Augenblicken gedacht hatte, er könnte sie mit Gewalt herausziehen … sie
     würde diesen Mann nicht wiedersehen. Ihr Halbbruder fuhr die Strecke von

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