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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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sieüber Schlaglöcher hüpfen, und bei jedem Schritt bebten ihre Wangen.
    Das große Bündel über der rechten Schulter, die kleine Provianttasche in der linken Hand, Hut auf dem Kopf – Sobolewski erreichte
     über einen Umweg den Grüngürtel, er beschloß, fürs erste den Stadtkern zu meiden und durch den Park am inneren Stadtring zu
     gehen, und nach kurzer Zeit stand er vor einem großen runden Backsteinbau, ihm fielen die sieben Türme, die Schießscharten
     und der Graben auf: Von hoch herab hatte man wohl auf die Angreifer geschossen, Tataren waren es nicht gewesen, eher schon
     die Osmanen; er wäre fast zu den Männern hinübergetrottet, zu den Männern, die ihn finster anblickten, und er hätte zu ihnen
     gesagt: Einst versprach der polnische König meinen Tatarenahnen Land, wenn sie sich seinem Feldzug gegen die Türken anschlossen,
     meine Ahnen kämpften also auf seiner Seite, und der siegreiche König hielt Wort. Ich bin der Nachfahre dieser Krieger, Ismael
     Sobolewski, stolzer königstreuer Pole und stolzer Besitzer eines Zertifikats, das mich als berechtigten Holzschnitzer ausweist
     …
    Er setzte seinen Fußmarsch fort, bis er auf ein illuminiertes Gewächshaus stieß, darin saß man wie in einem tatarischen Dorfkaffeehaus
     an Tischen, der kummervolle Ismael fand großen Gefallen darin, am Gewicht seiner Last zu tragen und hineinzusehen, er wandte
     den Blick bald ab und schaute in die andere Richtung. An der Fassade eines Theaterhauses am Gleisdreieck leuchtete die Werbewand
     in ständig wechselnden Bildern, sie war umkränzt von einfachen Reklametafeln, und jedesmal, wenn zwei Straßenbahnen in engem
     Bogen aneinanderfuhren, fiel auf die Gesichter Licht, und das Licht aber war zerteilt in helle Bänder, in hellere kleine Banner,
     in gleißende Feuerfunken war dies Licht zersprüht, und dann verblaßte dies Licht und nahm die Farbe von vergossener Milch
     an.
    Weiter, nur weiter, ein Traum so lang wie tausend Träume, er kettet dich an, weiter, nur weiter, rechts in die Gasse, links
     in die nächste Gasse, keine Zeit, innezuhalten für zwei Bisse in den Teigkringel in der Tasche, weiter, eine zweite, dritte
     Gasse, eine große Burg, dunkel, düster, wuchtig, auch hier wehrten sie die Angriffe der Tataren ab, nein, schon eher die der
     Osmanen, weiter, nur weiter.
    Die breite Straße Stradomska ging nach einer Kreuzung in die Krakowska über, und er befand sich in Kazimierz, in jenem einstigen
     Ruinenviertel, von dem die Leute sagten, es hätte dem Ansturm der Studenten und Touristen nicht lange standhalten können.
     Für den bekümmerten Tataren war es wie der Eintritt in ein verbotenes Gelände, auch hier bebten die Wangen der weit ausschreitenden
     Frauen, auch hier mußte er sich vorsehen, daß er nicht beschämt den Kopf neigte und gegen eine Mauer oder mitten auf dem Weg
     streitende Eheleute stieß. Die Standtische auf dem Placa Nowy waren hochgeklappt, auf dem kleinen Marktplatz strichen junge
     Ausländer herum, und da sie ihn für einen verspäteten Händler hielten, lächelten sie vor Vorfreude über die Waren in seinem
     Leinensack. Er aber fand endlich in der Estherstraße das Geschäft, trat ein und gab dem Mann, der hinten im Raum an der Kasse
     saß, nach siebeneinhalb flinken Schritten die Hand, der kummervolle Ismael Sobolewski sagte: Ich habe dir das Spielzeug gebracht,
     das du bei mir bestellt hast. Es sind bemalte Engel, grob geschnitzt, mit herausquellenden Augen und einem Vorbiß. Schwarze
     lange Haare, blonde lange Haare, ein bißchen Lippenstift – so möchtest du sie am liebsten haben, und ich richte mich streng
     nach deinen Wünschen.
    Dieser Tatar war ein guter Bote, entschied Cyprian, er erkannte die Stimme, bislang hatte er sich mit dem Schnitzer von engelsähnlichen
     Matronen nur am Telefon unterhalten, und er wußte nur, daß der fremde Pole einen Rohling in kleineKlötze zersägte, aus einem armdicken Klotz wurde ein Engel, die Fittiche in Silbergrau paßte er an, es wuchsen unter seinen
     Händen zwei Zapfen an den Schwingen, an der Innenseite, die Zapfenenden spitzte er kegelstumpfförmig zu, in den Rücken des
     Engels schnitzte er, ohne mit dem Messer auszurutschen, zwei Löcher, und dann trug er grellbunte Farben auf. Ein einziges
     Mal war es zu einem heftigen Wortwechsel gekommen, er hatte den Engelsschnitzer gebeten, den Rundkragen etwas tiefer zu setzen
     und Brustknospen anzudeuten, doch ehe er sich versah, verwickelte ihn Sobolewski aus

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