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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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bestellte zwei Gläser Limettenlimonade mit Vanille, er trank das aromatisierte Zuckerwasser
     bis zur Hälfte und sah ihr dabei zu, wie sie mit dem schwarzen Strohhalm zwischen den Eiswürfeln stocherte, und weil er sich
     sicher fühlte am hintersten Ende des Raumes, ließ er den Blick schweifen. Er entdeckte ihn an der alten Registrierkasse, und
     tatsächlich, inmitten der schlaksigen jungen Männer fiel er als Dicker im kurzärmeligen hautengen Hemd auf, das schien ihn
     zu betrüben, und er sprach seinen Gedanken laut aus: Der ist betrübt wegen seines Übergewichts. Sie fragte, ob sie beide miteinander
     bekannt wären, nein, sagte er, der Fotograf hat uns zu Schnipseln gemacht, ich möcht’ mal wissen, welche Nummer ich trage.
     Dann stand er auf und ging zu ihm hin und log nicht, noch erzählte er eine unwahreGeschichte, er war nun einmal auf Informanten angewiesen, von denen er hoffte, daß sie ihn über kleine Umwege zum Schuldigen
     führen würden, es ergab keinen Sinn, sie zu beschwindeln.
    Ich würde den Kerl an den Haaren durch die Straßen schleifen, sagte der Kellner, er hat mich heimlich fotografiert, es war
     die Woche, in der ich mit einer großen Beule herumlief, ich sah nicht besonders gesund aus, ich hatte wenig bis gar nicht
     geschlafen, und der verfluchte Paparazzo hat ein Foto von mir gemacht, er glaubt, er ist der große Künstler, also hat er mein
     Foto retuschiert, es auf Plakatgröße aufgezogen und zu Dutzenden überall geklebt, und die Frauen haben sich gekugelt vor Lachen,
     auf dem Steckbrief sah ich aus wie ein Zoomonster mit fettem Kopf, verdammt noch mal, ich bin keine Sensation, ich will nur,
     daß mich eine einzige Frau für weltberühmt hält, wenn du glaubst, daß ich mit ihm unter einer Decke stecke, hast du dich geschnitten,
     ich würde ja liebend gerne mit dir auf die Jagd nach ihm gehen, aber ich bin beschäftigt, ich kann dir nicht helfen, doch,
     Moment mal, der Paparazzo ist jetzt voll auf Zettelankleber umgeschwenkt, überall sieht man seine Kunst, die keine Kunst ist,
     hier in der Kastanienallee, an den Hackeschen Höfen, in der Oranienstraße, in der Skalitzerstraße zwischen dem Kottbusser
     Tor und dem Görlitzer Bahnhof, immer dasselbe Motiv, ein Rehkitz – knallrot eingerahmt, man nennt ihn den Bambibomber, er
     hinterläßt irgendwelche irren Botschaften, finde ihn, und du machst mich glücklich, deine Getränke gehen aufs Haus.
    Wenig später waren sie wieder draußen, und er erzählte ihr die Neuigkeit, es wurde langsam sichtbar, er würde bald die kandierte
     Kirsche vom Kuchen picken, und auch wenn sie über seine Ausdrucksweise befremdet war, war sie es zufrieden, an seiner Seite
     zu gehen. Es wurde langsam sichtbar, sie beteiligte sich an der Suche nach einem Mann, der sich falsch verhielt, sie wollte
     sich nicht vorstellen, was passieren würde,wenn Franz ihn fand. In einem mit Nippes vollgestopften Laden kaufte er eine Taschenlampe, er hatte große Dinge vor und wollte
     in der Dämmerung dem Zufall nicht völlig ausgeliefert sein, und als sie durch die Kastanienallee schritten, nicht schlendernd
     und nicht schwankend, leuchtete er die gesprühten Schablonenbilder und die geklebten Figuren aus: Eine schwarzbraunweiße Frau,
     die in Hüfthöhe überging in Rolltreppen, auf denen mauskleine Menschen standen; die Figur einer Frau auf schreiend hellblauem
     Grund, ihr Körper bestand unterhalb des V-Ausschnitts ihres Pullovers aus brennenden Autos und Liebespaaren auf Parkbänken;
     ein lächelndes Mädchen, in deren Nachthemdfalten Stacheldrähte eingezeichnet waren, daran hingen vom Wind erfaßte Unterhemden
     und Unterhosen; dicke Männchen auf schwarzgelben Zebrastreifen oder in Brandspuren eingearbeitet; eine große Gliederpuppe,
     deren Bauch ein Schlauch mit Ziehharmonikafalz entwuchs und in einer Schraubenmutter endete, die Mutter ersetzte den Kopf
     und den Hals der Puppe – überall sahen sie die Zeichen der Fassadenzeichner und der Papierfigurenkleber, in Hauseingängen,
     auf Stromkästen, über Klingelschildern. Das Papier war an manchen Stellen abgerissen, von Wind und Wetter angegriffen und
     mit Namenskürzeln übersät, in die Gesichter hatten andere Zeichner ihre Kritzel eingeritzt, mit Messerspitzen, mit rostigen
     Nägeln, mit stumpfen Werkzeugen, und ein Abfallrohr, das in einer wasservollen hölzernen Regentonne verschwand, war über und
     über mit Farbspritzern bekleckert, es wurde alles sichtbar, denn der Lichtkegel der

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