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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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ein eigenartiges leises Geräusch, er hatte eine
     neue Zigarettenschachtel aufgerissen, die geknüllte Zellophanhülle in seiner Manteltasche knisterte nun auf – sie sollte
     schon ohne ihn hineingehen, in das Café, sie sollte für sich schon bestellen, er müßte noch rauchen. Sie blieb bei ihm und
     erzählte von dem Schüler, der es als schönen Spaß verstand, sich rote Gummibänder um die Nase zu wickeln, und sie von einem
     gewöhnlichen unbedeutenden Tag an als Frau Opfer ansprach, die Mädchen in ihrer Klasse hatten gelacht und gelacht. Es hagelte
     Verwarnungen für ihn, auch in anderen Fächern, auch in anderen Schulstunden spottete er über die Lehrer, und sie verwarnten
     ihn, aber er war wüst, man konnte ihn nicht kleinkriegen, und daß er in das Holz seiner Schulbank Losungen der Aufsässigkeit
     ritzte, sorgte nicht für Aufsehen. Und daß er einem Mädchen ins Ohrläppchen biß, konnte man als Beziehungsproblem abtun, denn
     dieses Mädchen war allen Lehrern ein Dorn im Auge, es hatten sich eben zwei Asoziale gefunden. Und tatsächlich trieb es den
     Jungen zu einem Meisterstück, und sein Liebchen feuerte ihn an, ich war die Frau Opfer, und da machte er mich zu seinem Opfer.
    Als sie eintraten, fiel ein butterbeschmiertes Brötchenmesser auf den Boden, und der helle Klang ließ ihn zusammenfahren,
     sie setzten sich wieder aufs Sofa (wahrscheinlich war es für die Berliner Cafébetreiber billiger, die Räume mit altem Trödel
     vollzustellen). Man hatte es nicht eilig hier, die Tresenkraft war ein junger Vater im geblümten Hemd, er spielte mit seiner
     Tochter, und seine Frau schaute ihnen zu. Am Nebentisch sagte ein Mann zu einer Frau: Denkst du vielleicht auch an etwas?
     Hast du den Kopf nur zum Haaretragen?
    Sie verstand nicht, weshalb Franz nicht nach den Zeichen des Fotografen Ausschau hielt, ihr waren keine Rehkitzzettel aufgefallen,
     vielleicht folgten sie einer falschen Fährte. In den Stunden, die sie mit ihm verbracht hatte, war sie wederverwandelt noch verzaubert worden, sie war nur hingerissen von der Möglichkeit, einem Dieb und Einbrecher zu folgen, auch
     wenn es für ihn ein Vorleben und ein Nachleben gab, auch wenn er nach der großen Dumpfheit in seiner Zelle einen ersten Triumph
     bei der Spurensuche feiern konnte – kein Mensch konnte sich ungestraft verwandeln. Während sie auf den jungen Vater warteten,
     sprach sie ihn darauf an, es kostete ihn keine Mühe, ihr zuzuhören, dann antwortete er im leisen Ton, dabei hatte sie keine
     Frage gestellt: Ich beschäftige mich allein damit, wie ich es dem Kerl heimzahlen kann, der Angeber hat mich zu Fall gebracht,
     keine Angst, ich werde ihm nicht weh tun, ich werde ihn nur stellen, denn diese Leute kennen kein Maß, für ihn ist es gewesen,
     als hätte er eine Büroklammer aus der Form gebogen: Ich werde versuchen, zu ihm durchzudringen …
    Er brach mitten in seiner Aufzählung der Gründe ab, die ihn im Gefängnis bewogen hätten, über die Bekannten nachzudenken,
     über die Beschaffer, die Betrüger, und über die Betreuer der Betrüger, das waren solche Männer wie der Flitzer, er konnte
     schon allein wegen seiner vorgetäuschten Blindheit nicht schneller laufen als ein tapsendes Kind, er war aber meisterhaft
     darin, fast alles zu sehen und nichts von seinem Wissen ohne Lohn preiszugeben. Wieso freut er sich über einen Ritter? sagte
     sie, er ist doch ein erwachsener Mann. Die Antwort blieb er ihr schuldig, der junge Vater drückte ihnen die Getränkekarte
     in die Hand, dann bewegte er sich langsam wieder zurück zum Tresen, und sie starrte gebannt auf den plattgedrückten Haarwirbel
     an seinem Hinterkopf.

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    Erst der junge Bruder, dann der Franz, dann der Haihappen – Tage gibt’s, die sind nicht schön. Keiner von den dreien war mir
     wirklich recht. Was sollte da herauskommen? Frageeins: Hast du meinen Bruder gesehen? Frage zwei: Wer hat mich verpfiffen, und wo steckt der Mann? Frage drei: Was fällt dir
     ein, ihn zu mir zu schicken, das ist ein Verbrechen? Alles richtig. Die Frau an seiner Seite steht eine Klasse und zwei Leitersprossen
     höher als wir alle, die wir durch viele Viertel zogen, aber nur Nachbarn in einem Bezirk waren. Sie betrachtete mich, und
     ihr Mißtrauen wuchs, doch ich hatte Hoffnung, daß es verging mit der Zeit, wenn sie dabeiblieb, würde sie sich in seinen Kreisen
     bewegen, vielleicht mochte sie den Franz heraufziehen. Kaum zogen sie in ein anderes Viertel, zupften

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