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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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abgeschlossen, also trat ich ohne Warnung in die Wohnung – da saß er also
     in Frauenkleidern auf einem Stuhl, er hatte eine passende Bluse und einen passenden Rock aus dem Theaterfundus mitgenommen,
     seine spitzen Altmännerknie sahen in den billigen Nylonstrümpfen aus wie bleiche Steine vom Strand. Er zuckte zusammen, als
     ich mich räusperte, er sagte, er übte für seine Rolle, und ich wies ihn darauf hin, daß er nicht mehr die Dienstmagd würde
     spielen müssen, ich wüßte um die rote Liste, auf der er im alten System wegen abseitiger sexueller Umtriebe gestanden hatte,
     in meinen Augen wäre er der Herr Vaclav, ein äußerst begabter Amateurschauspieler, und daß manche Menschen ihn wegen seines
     Transvestitentums mißtrauisch beäugten, wäre verständlich und aber nicht weiter von Bedeutung. Er würde Tomás’ Platz einnehmen
     müssen, das Dienstmädchen hatte keine ehrgeizige Tochter, die sich auf den Schoß des Hausherrn setzte, um dafür mit einer
     Goldkette beschenkt zu werden, was wäre damit gewonnen, die Zuschauer auf die Ärgernisse im dunklen Hintergrund ihres Lebens
     hinzuweisen, das brächte mir doch nichts weiter ein als einen Verriß aus der Feder des Kritikers, über den wir uns alle das
     Maul zerrissen, der aber vielleicht recht hätte. Herr Vaclav sollte jetzt auch mal aufhören, einen Narren aus sich zu machen,
     es kleidete sich ein jedermann nach eigenem Ermessen und Kalkül, er litte, verdammt noch mal, nicht an einer Stoffwechselkrankheit,
     ich hätte runde Filzgleiter unter alle Stuhlbeine geklebt, nicht etwa, weil ich Rücksicht nahm auf die Nachbarn einen Stockwerk
     unter mir, sondern weil mich das Geräusch beim Stuhlverrücken verrückt machte, jeder suchte sich den Frieden aus, den er wollte,
     jeder stimmte das Donnerwetter an, das sein Herz ihm befahl, und so, und Schluß, und einen Kaffee bitte, ohne Zucker und Sahne
     …
    Er verharrte kurz, dann stand er auf, und ich hörte ihn in der Küche Schranktüren aufreißen, ich hörte den Deckelder Kaffeedose auf den Boden fallen, ich hielt es für das Beste, mitten im Zimmer zu stehen und an nichts zu denken. Schließlich
     brachte er mir den Becher Kaffee, schwarz und brühheiß, so daß ich vor jedem Schluck pusten mußte, er schaute mir dabei zu,
     und dann sagte er: Frauenkleider sind interessant. Ich bin nicht sehr alt, es gelang mir, Frauen auf mich aufmerksam zu machen.
     Ich hatte in letzter Zeit einige Lieben, jetzt lebe ich wieder allein. Es hat diese Frauen nicht gestört, daß ich mich zu
     Hause manchmal wie eine Frau anzog. Doch es hat sie etwas gestört, sie verließen mich aus anderen Gründen. Draußen würde ich
     es nicht wagen, derart extravagant herumzulaufen, glauben Sie mir das.
    Hatte ich Verständnis? Vielleicht. Eigentlich beschäftigte mich die Not des Gelegenheitstransvestiten nicht, daher hörte ich
     nur mit halbem Ohr zu, als er von dem antihaftbeschichteten Donutmaker mit den rutschhemmenden Gummifüßen sprach, er wollte
     mir das Gerät sogar vorführen, doch ich floh ins Freie, was hätte es mir eingebracht, weitere Besuche abzustatten. Sie alle
     würden zur Probe erscheinen, und sie würden keine Gelegenheit auslassen, um ihren Unmut über das Avantgardestück zu zeigen.
     Meine Kunst gegen ihre Kunst, meine Anweisungen gegen ihre Vorlieben, meine Texte gegen ihre Worte. Ich hatte längst aufgehört,
     Schauspielern angst zu machen, ich neigte nur manchmal zu Wutanfällen. Nach einem kurzen Spaziergang am Fluß kehrte ich bei
     Gretá ein, sie brachte mir sofort ein Glas georgischen Kognak, und ich trank ihn, um einer vermuteten Sitte zu entsprechen,
     in einem Zug aus. Und natürlich war es Zufall, und es war kein Zufall, daß Ivana aus der Toilette zurückkam, sich an ihren
     Tisch setzte, den Blick schweifen ließ und mich entdeckte. Wir starrten einander an. Da kam sie herüber und sagte stehend:
     Mein neuer Freund denkt, daß er mit meiner Zwillingsschwester zusammen war, dabei bin ich ein Einzelkind. Ist das nicht verrückt?
    Oder er ist verrückt, sagte ich und bereute sofort meine Worte – ich würde schon eine Möglichkeit finden, mich bei ihr zu
     entschuldigen, doch als der berühmte Komponist sein Gesicht gegen das Panoramafenster drückte und Grimassen schnitt und Ivana
     ihm die Zunge herausstreckte, war mein Wissen über die Liebesangelegenheiten meiner Bühnenfiguren komplett, und eine Entschuldigung
     kam nicht mehr in Frage. Der alte Vaclav übertrieb, Vilma

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