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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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gezaubert, und die Zauberei bestand darin, daß beispielsweise
     der Komponist der Frau, in die er sich spätestens am späten Nachmittag verlieben würde, ein Lied schenkte: Es interessierte
     ihn nicht mehr, was ihn wirklich bewogen und bewegt hatte, ihn wühlte nur noch auf, daß sie ihn bat, einen treffenden Titel
     auszusuchen.
    Und sie trafen an diesem frühen Samstag den herumirrenden deutschen Freund Aneschkas, er hatte sich verlaufen, es machte ihnen
     nichts aus, falsches Englisch zu sprechen und in ihre Sätze deutsche Worte einzustreuen, Worte wie Kindermund,Volksfürsorge, Rachenschmerzen, Herbstsonate, Tausendfüßler, Larifari und Kaiserwetter. Ferda grinste höflich, und er versuchte
     sich mit tschechischen Vokabeln zu revanchieren. Aber sein ungeschulter Kindermund preßte Silben hervor, die klangen wie …
    Sie klingen wie eine große Glocke am Zipfel einer Mütze, sagte Ivana, und als Ferda nach vielen Angängen endlich verstand,
     was sie meinte, hüpfte er einmal und mußte sich aber an den schmerzenden Fuß fassen. Dies alles war kein Grund, sich zu wundern,
     das alles konnte überall geschehen, zum Beispiel vor dem Einkaufszentrum Nový Smichov, hier bildeten die Straßen am Knotenpunkt
     der Straßenbahngleise den Großbuchstaben T, und da die Straßenbahnen in beiden Richtungen verkehrten, da sie um Ecken fuhren,
     blieb Ferda keine zehn Minuten später erst einmal stehen und beobachtete, wie sich die Prager beim Überqueren der breiten
     Straße verhielten. Sie schauen aus dem Augenwinkel, dachte er, sie nehmen es sich vor und haben doch keine Lust, zu hetzen
     und unterwegs ihren Schal zu verlieren, der im nächsten Moment unter die Räder eines Autos kommt.
    Es gelang ihm, die gegenüberliegende Seite unbeschadet zu erreichen, und da blieb sein Blick an einem kleinen Kranz aus Alufolie
     haften, der aus der Manteltasche eines Mannes hervorlugte, der Mann aber knackte seitlich neben dem Eingang des Einkaufszentrums
     Haselnüsse mit den bloßen Zähnen. Er starrte Ferda an, Ferda nickte stumm und wurde damit belohnt, daß der Mann ihm zwei Haselnüsse
     hinhielt, er nahm sie, wieder stumm nickend, an. Was sollte er jetzt machen? Sich neben ihn stellen und die harte Schale zerbeißen,
     während der Strom der neugierigen Pragerinnen an ihm vorbeizog? Genau das tat er denn auch, Ferda und der Mann kamen ins Gespräch,
     es war umfaßbar, wie gut der Tscheche Deutsch sprach, Ferda faßte Mut und erzählte ihm von seiner Liebe zu einer Prager Schönheit,
     das Schalenknacken des Mannesstörte ihn kaum, er war es zufrieden, er sprach, und man hörte ihm zu, und da aber, weil sich der lange Monolog des Fremden
     in die Länge zog, ging der Mann grußlos weg.
    Und als er sich umdrehte, sah er Aneschka, sie stieg aus der Straßenbahn und rückte ihre Brille auf dem schmalen Nasenrücken
     hoch. Die wahren Gründe waren ihm gleichgültig, sie taten in dieser Stadt, was sie taten, und er tat, was ihm gefiel – also
     holte er tief Luft und ging ihr entgegen.

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    Der alte Vaclav übertrieb, er dachte ernsthaft darüber nach, zu verlieren, und er hatte mich dazu ausersehen, ihm die nötige
     Beihilfe zu gewähren. Es war der Tag meiner Besuche bei den Schauspielern, als erstes suchte ich Vilma auf, die mich einließ,
     und während ich mir die Worte im Kopf zurechtlegte, tupfte sie ein Wattebäuschchen in die Cremedose und rieb sich das Lidstrichschwarz
     aus den Augen. Ich wollte ihr die Betrübnis ausreden, doch sie war keineswegs in Trauer, ich wollte sie mit Lob anpeitschen,
     doch sie wirkte einfach nur unbekümmert. Sie sagte, sie müßte ihre Blusen und eine Strickjacke zur Reinigung bringen, dann
     würde sie in einem Restaurant essen, in dem man das erste Körbchen Brot nicht berechnete … und außerdem nähme sie ihr Angebot
     zurück, der Trittstuhl gehörte ihr, sie würde ihn nicht mir, nicht ihrer besten Freundin und auch sonst niemandem schenken
     wollen … und ja, sie stünde ab sofort für die Proben zur Verfügung, ich sollte aber bitte schön nicht mit immer neuen Streichungen
     und Einfällen für Chaos sorgen. Ich bedankte mich und sagte blöderweise, daß ich allein zur Tür fände. Sollte ich, den sie
     alle für einen Menschenschinder hielten, einfach umkehren? Sollte ich eine Postkarte schicken an meine Frau in Krakau, die
     sich nicht scheiden ließ, obwohl uns nichts verband außer dem Ehevertrag? Nein.
    Ich klopfte bei Vaclav an, doch die Tür war nicht

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