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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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dem braunschwarzen Gebräu und schüttelte mich, der Junge
     hinter mir zog lachend seinen Arm weg. Er hatte ein Messingstielgefäß quer über die Brust gehängt, wenn er sich vorbeugte
     wie bei einem angedeuteten Bückling, rann der Mokka über die Schnabeltülle und floß in die kleinen Tassen. Der Junge war ein
     Sohn des Volkes, und deshalb sprach ihn mein Vater an, der Junge schaute erst über die Schulter und gab dann Auskunft: Das,
     was Sie trinken, Damen, Herren, das ist Mirra, das r wird gerollt. Aber gut. Kaffee und Kardamom rührt man zusammen. Einen
     Tag kochen, einen Tag ruhen lassen,und noch einmal von vorn. Ergibt vier Tage. Da aber ist aus dem Kardamomkaffee Mirra geworden. Bitter und hart. Gut für die
     Verdauung. Zuckerkranke macht es glücklich. Damen, Herren, ich ziehe weiter zum nächsten Tisch. (Man vermutet bei ihm zu Recht,
     daß er aus dem Südosten hergezogen ist. Noch spricht er nicht jenes ausgefeilte Türkisch, das die Istanbuler Hügelwilden perfekt
     beherrschen. Sein Vater – der Chefkellner – lernt ihn an, er fordert ihn auf, auf die Gäste zu achten, nicht zu starren, aber
     sie staunend anzusehen. Auf die Unterhaltung kommt es an, die Köche sind eigentlich Zuarbeiter, und wenn man das richtige
     Benehmen lernt und die Tischgesellschaft unterhält, hat man eine große Zukunft vor sich. Der Junge wird es schaffen.)
    Am Kopfende der Tafel taute nach anfänglicher Starre die Frau des seligen Ältesten auf, trotz des Machtanspruchs ihres Bruders
     Bener galt sie nun als die Älteste, und auch wenn sie Plastiktüten auswusch und zwischen den Geländerstangen auf dem Balkon
     zum Trocknen aufhängte, auch wenn sie den Klammerbeutel fest verschnürte, so daß die Vögel, die Irregeleiteten unter den Vögeln,
     nicht Wäscheklammern herauspickten … ihre Härte und ihre Herbheit waren unanfechtbare Tugenden.
    Sie lenkte alle Blicke auf sich, wir wußten, sie würde jedem von uns nun eine Girlande aus frommen Sprüchen um den Hals hängen,
     und wir schrumpften zu Sitzzwergen, und sie sprach: Mein Mann ist mit Abgasen in der Lunge gestorben. Er hat einen Schlauch
     über das Auspuffrohr gestreift und das andere Ende in den Fensterspalt geklemmt. Kein schöner Tod, kein Tod ist schön. Jene,
     die sich das Leben nehmen, werden verwünscht. Vier Tage nach seinem Tod habe ich die abgefallenen grauen Brusthaare meines
     Mannes auf den Badezimmerfliesen gefunden. Keiner von euch war zur Stelle, um mich zu trösten. Dir, kleiner Bruder im feinen
     Anzug, hat es gefallen, uns zum Essen einzuladen, jedenfalls gehe ich davonaus, daß du die Rechnung bezahlst. Nach all den Jahren bist du aus dem Ort deiner Entrückung aufgetaucht. Deine Frau blieb
     zu Hause. Deinen Kindern ist es verboten, ihre älteste Tante anzurufen. Und als würde das alles nicht reichen, weigerst du
     dich, auf die Seele meines Mannes zu trinken. Wieso? Weil er deine Frau am Hintern gepackt hat? Ist ihr Hintern derart kostbar,
     daß nur du die Rundung ihrer linken und ihrer rechten Hinterbacke ertasten darfst? Sie war ja nicht nackt, zwischen der Hand
     meines Mannes und dem Hintern deiner Frau waren mindestens zwei Stoffschichten. Wollte er sie verführen? Wäre sie schwach
     geworden, und hätten sie sich heimlich in einem Hotelzimmer getroffen? Entbrannte er in großer Liebe? Nein, ich hätte es gemerkt.
     Er gehörte nicht zu den Perversen, die kleine Kinder auf ihrem Schoß sitzen lassen. Längst waren ihm auch die Haare am linken
     Scheitel ausgefallen, er konnte sie nicht nach rechts kämen und die Glatze bedecken. Nach dem Magendurchbruch mußte er auf
     den Schnaps verzichten, er trank manchmal ein kleines Glas, und dann wurde er schnapsselig, und dann sperrten wir uns ein
     im Schlafzimmer. Meine Offenheit muß niemanden hier beschämen. Ich will nur klarstellen, daß er nicht zu kurz kam. Aber wieso
     hat er deine Frau an die Kante des Arbeitstresens gedrückt, wieso hat er, ohne einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben, die
     Hand in die verbotene Zone gestreckt, wieso mußten wir alle mit einem Gerücht leben, von dem wir wissen, daß es kein Gerücht
     ist? Ich habe eine Theorie. Sie geht folgendermaßen: Er war der einzige Sozialdemokrat in unserer Sippe. Er hat mir seine
     Tat angekündigt, er hat gesagt, Frau, ich werde den Po einer Faschistin drücken, ich habe Lust dazu. Ich dachte, es ist einer
     seiner groben Scherze. Ich dachte aber auch, daß er auf einem seiner Spaziergänge kurz nach vorne

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