Hinterland
greift, in einem Gedränge,
er würde sich vorsehen, um nicht als verrohter Greis gestellt zu werden, seine Hand würde sich an der Hinterbacke einer Wildfremden
verkrallenund dann wieder in seiner Hosentasche verschwinden. Aber er sprach ausdrücklich von einer Faschistin. Im Laufe der Zeit habe
ich die politische Gesinnung meines Mannes übernommen. Ohne nachzudenken, habe ich immer die Partei gewählt, von der er sagte,
ich sollte sie wählen. Für Politik habe ich nichts übrig. Laut meiner Theorie hat also mein Mann deine Frau als Rechtsradikale
ausgemacht und eine günstige Gelegenheit abgewartet, um sie am Hintern zu packen. Ist das verwerflich? Ist das unanständig?
Ich bin immer auf der Seite meines Mannes, also werde ich euch eine Antwort schuldig bleiben. Nun ist er schon seit einiger
Zeit tot, er hat sich selber totgemacht. Die einen glauben, sein Gewissen habe ihn schwer belastet. Für die anderen war er
ein Rüpel, der im Kinderzimmer seiner Lüste eingesperrt war und keine Luft mehr bekam. Falsche Kommentare, falsche Deutungen.
Appetit ist gut, jetzt sollten wir essen …
Der Chefkellner ließ zwei Platten auftragen, man erwies uns die Ehre und servierte die Spezialität des Hauses, gekochte Spanrippe
an Reis aus geschrotetem Weizen. Mein Onkel Bener erklärte mir, daß der Meister das Stück zwischen Kamm und Brust des Rindes
wunderbar vormodern zubereitete. War er getroffen von den Worten seiner Schwester? Hatte ihn die Sippenälteste etwa nicht
bloßgestellt? Er kaute lächelnd an Streifen, die er vom festen Fleisch auf seinem Teller abzog. Ein seltsamer Anblick war
das, er glich einem seligen Vorkoster, dem der Herrscher erlaubt, das giftfreie herrliche Essen zu Ende zu löffeln. Fast hätte
ich ihn auf das Handbuch für die sittsame Dame angesprochen, es mußte sich um ein Versehen handeln, denn ich fand darin keine
Gebete, aber Verwünschungen und das Versprechen des Verfassers, im Folgebuch über die vielen falschen Möglichkeiten und die
einzige richtige Art, wie man süßen Tulpenblättersud zubereitete, zu schreiben. Doch er verschluckte sich an einem größeren
Bissen, ich klopfte ihm auf den Rücken, und nach dem drittenharten Schlag flog ein geknäuelter Fleischstreifen aus seinem Mund auf den großen Salatteller. Er stand auf, griff nach seinem
Jackett, bezahlte die Rechnung an der Kasse und hob, ohne sich uns zuzuwenden, einfach die Hand zum Abschied. Ich sah ihn
nie wieder.
In diesem Land nannte man eine Katze nicht einfach Katze, man nannte sie die Stummelschwänzige, oder Die-so-tut-als-schielte-sie;
der Hausmeister von gegenüber hieß denn auch der Billigurlauber in die Melancholie, dabei suchte er den Himmel nach Störchen
ab, die Unheilverheißung einer Zigeunerin hatte ihn auf das Glück von oben eingestimmt, denn im Dunst der Holzkohle, der Giftschwaden
aus den Schloten und Auspuffrohren konnte ein Mann nur oben ein schönes Zeichen entdecken: über den Dächern der Häuser, unter
den Wolken des Himmels. Und der deutsche Sohn der Familie wurde der Sandalenbesohler genannt, nicht etwa nur der Deutsche,
man fand es recht seltsam, daß er die Moldawierin, den Aserbaidschaner und die Turkmenin mit den Goldzähnen in Gespräche verwickelte,
sie waren dienstbare Geister und führten die Hunde der Häuser aus, die sie für fünfhundert Dollar im Monat eingestellt hatten.
Der Deutsche hatte Stoffetzen aneinandergeknotet und um den Hals seiner Hündin geschlungen, eine Gardinenkordel führte zum
Fetzenband, und wann immer das Tier an der Hinterseite eines anderen Tieres schnüffeln wollte, zog er nicht etwa an der Kordel,
er rief: Belinda, laß das! Sie schnüffelte ungerührt weiter und ließ sich beschnüffeln, und da er wohl diese Zeit nicht ungenutzt
verstreichen lassen wollte, schnüffelte er an Dienern und Dienerinnen. Bigümsultan sah in einer Zigarettenpause auf dem Balkon,
wie er der Turkmenin Bilder aus dem Tulpenmarmeladenbuch zeigte, sie wich einen Schritt zurück und riß an der Leine, doch
sowohl der Deutsche als auch die Hündin gingen über diese eindeutigeAbweisung hinweg. Er klappte das Buch zu und erklärte sich ihr, er wird wohl in komplizierten Worten das Mißverständnis ausräumen
wollen, dachte Bigümsultan, er wird von seiner Großmutter erzählen, deren Grab er vor zehn Jahren besucht hat, er hat einfach
keine Lust, Grabsteine zu putzen. Wäre er herzlos, würde er sie längst vergessen
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