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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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straff, das Kruzifix ruhte in der Mitte ihres Ausschnitts, in
     der Rinne zwischen ihren Brüsten, sie drückte das goldene Kreuz hinein, daß es nicht pendelte und ihr beim Hinken um die Ohren
     schlug, und als sie bei den beiden Frauen stand, schielte sie kurz an sich herunter und sagte: Helen, du kennst mich nicht,
     ich bin eine Verflossene deines Vaters, er hat mich gebeten, ein Auge auf dich zu haben, wenn du dich hier herumtreibst. Er
     meint es gut, und ich bin keine Spionin, das sollst du wissen. (Es bedrückte sie nicht, daß sie vor Monaten einen schmächtigen
     Gast mit einem Schlag zu Boden gestreckt hatte, er gehörte zu den Männern, die im betrunkenen Zustand schweinisch werden.
     Der Mann hatte laut vom Sex mit einem Hinkebein geschwärmt. Cora, die Barbesitzerin, nahm es zwar nicht genau mit den Umgangsformen.
     Aber. Die Bitte konnte sie Niklas unmöglich ausschlagen, sie konnte jedoch genausowenig einem ahnungslosen Mädchen hinterherspionieren.
     Übrigens, sie kannte Budapest nur aus den Bildbänden in ihrem Regal, das aus Sperrholzbrettern und Ziegelsteinen bestand.)
    Ihr Vater, nicht verhärtet, nicht beschädigt, einer, der die Kunst in seinen Bildern verkennt, ihr Vater, nach dem man sucht,
     um ihm die Hälfte des anvertrauten Schmucks abzunehmen – sein Nachname endete zwar auf dt, aber einige wenige Freunde nannten
     ihn Held wie der Held in den Sagen. Irgendwann wird er im Rinnstein liegen, sagte ihre Mutter, doch sie glaubte ihr kein bißchen.
     Der fremden, halb eingeknickten Frau in der Zirkusweste glaubte sie sofort, und so geschah es, daß diese Frau die Abendgeschäfte
     dem Kellner übergab und Aneschka den Gitarrenkasten abnahm, den Rucksack konnte sie schlecht am Rücken tragen. Die Pragerin
     achtete darauf, daß die Schulterriemen ihres Wandersacks genau auf den Trägern ihres ärmellosen Mädchenoberteils auflagen.
     Das fiel Cora auf, und fast hätte sie ihr deswegen einKompliment gemacht, sie hielt den Mund, stieg in den Leichenwagen ein, und wenig später stand sie Niklas gegenüber. Äffisch,
     daß ihm das Hemd oben und unten zwei Knöpfe offenstand, äffisch, daß er eine schwere Halskette trug wie die Kerle aus dem
     Balkan, und seltsam seine Worte: Ich wußte es, das Heimlichtun gefällt dir nicht.
    Die Freundin ihrer Tochter schaute er nur kurz an und wünschte ihr, daß der Ausflug nach Berlin sich lohnte, er würde schallend
     lachen, wenn sie die Stadt bald Hals über Kopf verließe, und also mußte die halb eingestürzte Cora einschreiten, sie war in
     der Laune, ihm alle Knöpfe vom Hemd zu reißen. Während sie sich mit dem Fotografen stritt, saß Aneschka auf der Kante des
     Duschwannenpodests im Bad, sie starrte erst auf die Silberfische in den Fliesenfugen, dann starrte sie auf den Zehentrenner
     aus Schaumstoff, sie begann mit dem kleinen Zeh und trug durchsichtigen Unterlack auf, neun Zehen später hielt sie inne und
     folgte mit ihrem Blick einem Silberfisch, bis er in einer Ritze verschwand. Sie hörte ihr Mobiltelefon klingeln, Helen klopfte
     an die Tür und reichte es ihr durch den armbreiten Spalt, und sie erzählte dem geliebten Mann, ihrem Freund, was sie gerade
     tat, Französische Maniküre, sagte sie, ich trage Halbmonde aus weißem Lack auf die Fußnägelspitzen auf, ich werde warten,
     bis die Streifen trocknen, und ich werde in geraden Strichen vom Nagelbett bis zur Spitze alle Nägel mit rosa Klarlack überziehen,
     ich darf die ganze Zeit nicht zittern … Und sie erfuhr, daß er Fortschritte gemacht hatte in seinem Versuch, alte Männer nicht
     durch zu viel Empfindsamkeit zu verunsichern, denn die Alten würden zu den obersten Stockwerken der Häuser, zu den Dächern
     und Turmspitzen hochspähen, sie würden sogar damit rechnen, daß irgendwann ein Gebetsausrufer vom Minarett herunterfiel, dabei
     stieg man nicht mehr wie früher auf den höchsten Punkt eines Gotteshauses, aber gut. Sie konnte ihm folgen, obwohl sie es
     als Übertreibung ansah,den Blick nicht auf das zu lenken, was man sah und wovon man umgeben war. Sie schüttelte nah am Telefon das Nagellackfläschchen,
     und als er stutzte, sagte sie, sie hätte noch nicht entschieden, ob sie zum Zurückschieben der Nagelhaut ein Orangenholzstäbchen
     oder ein Hufstäbchen benutzen sollte. Und dann schwieg sie. Und hoffte. Ich werde wohl zu dir fahren müssen, sprach er, ich
     komme zu dir, das Eis in der Hölle soll schmelzen. (Waren seine Worte lächerlich? Müßte er nicht bei

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