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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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ihnen aus Helmsby zu fliehen.
    Stattdessen führte er Oswald und Simon zu ihren Plätzen am unteren Ende der rechten Tafel zurück und setzte sich zu ihnen auf die Bank. Oswalds Augen waren zu rastlos, seine Atmung zu flach, seine Lippen zu blau. Der Junge war außer sich vor Furcht, und wenn sein schwaches Herz ihn jetzt im Stich ließe, wäre kein Josua ben Isaac zur Hand, um ihn zu retten.
    »Was ist denn, Oswald?«, fragte Alan leise, wandte sich ihm zu und kehrte den neugierigen Blicken gleichzeitig den Rücken.
    Oswald schüttelte den Kopf, senkte ihn dann und fragte: »Das hier ist dein Zuhause?«
    »Das wird mir allenthalben versichert.«
    »Was?«
    »Entschuldige. Ja. Dieser Ort hier ist mein Zuhause.«
    »Und … und du bleibst jetzt hier?«
    Gute Frage. »Ich schätze schon. Fürs Erste. Wo sollten wir auch sonst hin?«
    Plötzlich umklammerte Oswalds kleine Hand die seine. »Und jagst du uns davon?«
    Alan sah seine Gefährten der Reihe nach an, und sein Blick verharrte bei Luke, der beschämt die Augen niederschlug. Ärgerlich schüttelte Alan den Kopf, dann schaute er Oswald in die Augen. »Natürlich nicht. Wie kannst du so etwas nur denken? Bin ich etwa nicht mehr dein Freund?«
    »Mein allerallerbester.«
    »Da siehst du‘s. Was sollte ich denn hier anfangen ohne euch?«
    »Ja«, murmelte Luke in seinen Bart. »Wer wollte auf einen Haufen wie uns schon verzichten?«
    »Denkst du nicht, dass du mich für einen Tag genug beleidigt hast, Luke? Willst du jetzt auch noch an meinem Wort zweifeln?« Er wartete keine Antwort ab, sondern wandte sich an Simon. »Wo hat man euch untergebracht?«
    Der junge Normanne hob ein wenig verlegen die Schultern. »In einer Kate im Hof. Es ist in Ordnung.«
    Alan befreite sich von Oswalds Hand und stand auf. »Und wo ist Regy?«
    »Im Verlies, wie du es wolltest.«
    Alan nickte. »Würdest du mich begleiten, Simon?« Das war eine spontane Eingebung, aber er hatte das Gefühl, das Richtige zu tun. »Henry erwartet mich. Ich habe die Befürchtung, er will mir vom gerechten Krieg seiner Mutter erzählen und von der Rolle, die ich einmal darin gespielt habe. Und weil ich natürlich nicht weiß, was ich von der ganzen Sache halten soll, hätte ich dich gerne dabei, sozusagen als Vertreter der Gegenseite, damit er die Dinge nicht gar zu einseitig darstellt. Ich habe den Verdacht, unser Henry ist schamlos in dieser Hinsicht.«
    Simon schien ebenso erfreut wie erstaunt. »Du willst mich dabeihaben?«
    »Warum nicht. Immerhin wären wir beinahe so etwas wie Cousins geworden.«
    »Was redest du da?«
    Alan nahm Simon am Arm und zog ihn mit sich zum Ausgang. Auf der Treppe erzählte er ihm, wer er war.
    Er fand seine Großmutter bei Henry. Sie saßen sich an einem Tisch unter dem Fenster gegenüber; der junge Franzose vertilgte mit großem Appetit ein beachtliches Frühstück, während die alte Dame eine Laute auf dem Schoß hielt und ohne großen Erfolg an den Saiten herumzupfte. Als sie ihren Enkel eintreten sah, lächelte sie. »Ich bin leider hoffnungslos untalentiert«, gestand sie. »Ganz im Gegensatz zu dir.« Sie streckte ihm das Instrument entgegen.
    Alan nahm die Laute ohne das geringste Zögern beim Hals. Das glatte, gerundete Holz war seiner Hand vertraut, das wusste er sofort. Er stellte den rechten Fuß auf einen freien Schemel, stützte den Korpus auf den Oberschenkel und begann zu spielen. Seine Finger waren ungelenk, wie eingerostet. Und dennoch flogen sie über die Saiten, schienen ganz von selbst zu wissen, was sie zu tun hatten, und der Wohlklang, den sie der Laute entlockten, erfüllte ihn für einen kurzen Moment mit Seligkeit. Zum ersten Mal bedeutete das Wort »heimgekehrt« mehr als allein die Tatsache, dass ein seltsames Schicksal ihn zurück an den Ort seiner Geburt geführt hatte. Diese Laute war Teil seiner Vergangenheit. Genau wie die Melodie, die er spielte.
    »Der Wolf und die Taube«, murmelte Simon.
    »Meine Amme hat immer Rotz und Wasser geheult, wenn sie uns die Geschichte erzählt hat«, erinnerte sich Henry.
    »Mein Vater hat behauptet, er habe mit dieser Ballade das Herz meiner Mutter erobert«, bemerkte Lady Matilda.
    »Aber bestimmt nicht mit einer so verstimmte Laute«, spöttelte Alan, denn er wollte um keinen Preis, dass irgendwer bemerkte, wie tief diese Wiederentdeckung eines Teils seiner selbst ihn berührt hatte.
    Entschlossen, aber behutsam lehnte er das Instrument an die Wand, setzte sich auf den Schemel und sagte: »Nimm Platz,

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