Hiobs Brüder
fünften März vierzehn Jahre alt geworden, mein Junge«, widersprach Matilda mit einer Mischung aus Strenge und Belustigung. »Wenn du schon lügen musst, dann lass dir lieber etwas einfallen, was nicht so leicht zu widerlegen ist.«
Henry stieß hörbar die Luft durch die Nase aus und sagte nichts. Es war eine Kapitulation, wenn auch gewiss nur eine unter Vorbehalt.
»Vierzehn?«, wiederholte Alan fassungslos und sah unwillkürlich zu Simon, der ein Jahr älter, aber fast noch ein Knabe war. Henry Plantagenet hingegen war ein Mann. Der rotblonde Bartwuchs, der sich im Verlauf der letzten Tage auf Kinn und Wangen gezeigt hatte, mochte noch spärlich sein, aber Henry war so groß wie Alan, breit in den Schultern, er klang wie ein Mann, und vor allem dachte er wie ein Mann.
»Wieso bist du so verwundert?«, fragte seine Großmutter. »In dem Alter warst du selbst schon Soldat und hast mit deinem Onkel Gloucester gegen aufständische Waliser gekämpft. Daran ist nun wirklich nichts Ungewöhnliches.«
»Wenn du es sagst …«, gab Alan ein wenig matt zurück. »Also, weiter, Henry. Erzähl mir von deiner Mutter, der Kaiserin. Wo ist sie eigentlich?«
»In Devizes Castle«, antworteten Henry, Matilda und Simon im Chor. »Da verbarrikadiert sie sich seit fünf Jahren«, fuhr der Sohn der Kaiserin fort. »Es ist schändlich.«
»Nach der Andeutung, die du vorhin gemacht hast, hatte ich nicht den Eindruck, dass du sie besonders schmerzlich vermisst«, wandte Alan ein. »Und trotzdem wolltest du ihr zu Hilfe kommen?«
Henry schüttelte den Kopf. »Meine Mutter mag ein scharfzüngiges Miststück sein, aber deswegen steht ihr die Krone trotzdem zu.«
»Das tut sie nicht«, meldete Simon sich entrüstet zu Wort, und gleichzeitig protestierte Matilda: »Wage es nicht, deine Mutter unter meinem Dach ein Miststück zu nennen, du Flegel!«
»Aber Madame, Ihr werdet doch wohl zugeben müssen …«
»Sie hat schon deswegen keinen Anspruch auf die Krone, weil der Papst König Stephen anerkannt hat und …« Simon konnte den Satz nicht beenden.
»Du plapperst nur nach, was dein Vater von ihr sagt, Henry, der sie nie zu schätzen wusste …«
»Wärt ihr vielleicht so gut …«, begann Alan stirnrunzelnd, und weil das nicht den geringsten Erfolg hatte, erhob er die Stimme: »Seid still, allesamt!«
Auf einen Schlag trat Ruhe ein, und die drei Streithähne sahen ihn an, abwartend und höflich.
Alan ergriff Simons Weinbecher und trank einen Schluck. Ich habe einen ordentlichen Keller, dachte er flüchtig. Dann sagte er: »Ich will diese Geschichte überhaupt nicht hören. Sie interessiert mich nicht. Aber ihr bedrängt mich und behauptet, ich müsse all diese Dinge unbedingt wissen, weil sie Teil meiner eigenen Geschichte seien. Oder weil ihr erwartet, dass ich irgendeine Rolle darin spiele. Also schön. Aber dann der Reihe nach. Und möglichst so, dass ich hier nicht die ganze Zeit sitze und mich schäme und mir dumm vorkomme, weil ihr alle so vieles wisst, was ich vergessen habe. In Ordnung?«
Sie nickten feierlich, verständigten sich mit verstohlenen, beinah schuldbewussten Blicken, und Lady Matilda ergriff das Wort. »Nachdem Prinz William Ætheling – dein Vater – ertrunken war, holte König Henry sein einzig verbliebenes eheliches Kind zurück an den Hof: Maud. Sie hatte seit ihrem achten Lebensjahr erst in der Obhut und dann an der Seite ihres Gemahls Kaiser Heinrich gelebt. Nach seinem Tod und ihrer Trauerzeit hätte sie gern einen der deutschen Fürsten geheiratet, denn sie war glücklich in dem Land, das ihre Heimat geworden war. Aber ihr Vater tat, was alle Väter mit den Ehewünschen ihrer Töchter tun: Er nahm keinerlei Notiz davon, sondern holte Maud erst in die Normandie und dann nach England zurück – in ein Land, das ihr völlig fremd geworden war, wo sie aber dennoch Königin werden sollte. Der König ließ die englischen Lords einen Eid schwören, Maud nach seinem Tod zur Königin zu wählen. Und sie schworen, allesamt. Auch ihr Cousin Stephen«, fügte sie mit einem missfälligen Blick in Simons Richtung hinzu, unter dem der Junge in sich zusammenschrumpfte wie eine welkende Blume. »Stimmt«, murmelte er kleinlaut.
»Kurz darauf verheiratete König Henry seine Tochter mit dem Grafen von Anjou.« Unfein wies Matilda mit dem Finger auf Henry. »Dein Vater war damals so alt wie du heute, mein Junge. Deine Mutter doppelt so alt. Und das war nicht die einzige Kluft zwischen ihnen. Diese Ehe war von
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