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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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dieser Mann spüre den Schmerz eines innerlichen Schlangenbisses.
    Alan hatte keine Vorstellung, was er tun sollte, denn das hier war neu. Was er hingegen genau wusste, war dies: Er musste Luke auf der Stelle irgendwohin schaffen, wo nicht die ganze Welt ihn sehen konnte.
    Der alte Mann begann, sich in seinen Armen zu sträuben. »Lass mich los«, heulte er. »Geh weg, lass mich zufrieden!«
    »Luke, kannst du mich hören?« Alan sprach so ruhig, wie er es fertigbrachte, die Lippen nah an Lukes Ohr, und hielt ihn fester. »Ich werde dich jetzt tragen. Hab keine Angst. Ich bringe dich in die Kirche.«
    Luke schüttelte weinend den Kopf.
    Alan packte seinen linken Unterarm fest mit der Rechten, ehe er aufstand, damit Luke ihm nicht entwischen konnte. Dann trat er vor ihn, sah einen Moment in die vor Grauen geweiteten Augen und warf sich den alten Mann dann über die Schultern. »Edmund, halt mir die Kirchentür auf.«
    Luke verstummte einen Moment, vielleicht vor Verblüffung. Aber es war nur die unheilvolle Stille des Atemschöpfens. Und dann schrie er so laut, dass es Alan in den Ohren gellte, unartikulierte, ungehemmte Laute der Qual und Furcht, die man niemals vergaß, wenn man sie je gehört hatte.
    »Ruhig, Luke, es ist alles in Ordnung«, murmelte Alan. Er klang beschwichtigend, dabei hatten seine Nackenhaare sich aufgestellt, und er spürte eine Gänsehaut auf den Armen. Er machte längere Schritte. Aus dem Augenwinkel sah er zwei Bauern mit einem Hütehund, die ihn alle drei wie gebannt anstarrten. Dann endlich hatte er die Kirche erreicht. King Edmund huschte hinter ihm hinein und zog das Portal hastig zu. Auch seine Augen waren geweitet, die Haut um Mund und Nase herum seltsam fahl.
    Mach mir jetzt nicht schlapp, Edmund, dachte Alan verzweifelt, ließ Luke zu Boden gleiten und hockte sich wieder hinter ihn.
    Luke schrie immer noch. Seine Stimme stieg zum hohen Gewölbe empor und wurde von dort zurückgeworfen, sodass es klang, als höre man die Schreie aller Verdammten in der Hölle.
    »Luke.« Alan legte ihm die Hände auf die Schultern. »Luke, um der Liebe Christi Willen, nimm dich zusammen.«
    Luke riss sich los und kroch auf Händen und Füßen von ihm weg. »Sie frisst mich auf«, heulte er. »Sie zerfleischt mich!«
    Alan stand auf und folgte ihm, ohne zu wissen, was er tun sollte, und plötzlich fuhr Luke zu ihm herum und richtete sich halb auf. Wie ein Unhold sah er aus mit seinen wirren weißen Haaren, dem verzerrten Gesicht und der buckligen Haltung. Und Alan sah in den hervorquellenden, gänzlich irren Augen, was er im Schilde führte. Als Luke sprang und mit beiden Händen nach Alans Dolch griff, wich Alan fast gemächlich zur Seite und stellte dem Tobenden ein Bein. Hart schlug Luke auf die Steinfliesen der Kirche, und der Sturz presste alle Luft aus seinen Lungen, sodass wohltuende Stille eintrat. Wenigstens für den Moment.
    Alan hockte sich neben ihn, packte seine Hände, zerrte sie auf den Rücken und drückte ihm fast grausam das Knie in die Nieren. »Jetzt hör mir genau zu, Schlange«, knurrte er. »Du wirst auf der Stelle von ihm ablassen. Sonst schwöre ich bei den Teufeln, die dich geschickt haben: Ich schneid ihm den Bauch auf und hol dich raus und zerhack dich in neun Stücke, die ich eins nach dem anderen ins Feuer werfe. Hast du mich verstanden?«
    Luke, seine Schlange oder wer auch immer verstand ihn offenbar tadellos. Der Körper des alten Mannes, der eben noch vor Anspannung vibriert hatte, erschlaffte. Mit einem langen, stöhnenden Laut atmete er tief durch, und dann lag Luke so still, dass Alan einen Moment lang glaubte, er sei tot.
    Zögernd und argwöhnisch löste Alan seinen Klammergriff und richtete sich auf.
    King Edmund kniete sich neben Luke und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Es ist gut«, murmelte er sanft. »Es ist vorüber, Luke.«
    Luke rollte sich langsam auf die Seite, vergrub den Kopf in den Armen und weinte leise. »Sie hat mich gebissen.«
    »Aber jetzt schläft sie wieder?«, fragte Edmund, seine Nervosität kaum zu überhören.
    »Sie schläft«, murmelte Luke erschöpft. »Aber wie lange? Wie lange, Edmund?« Er schluchzte. »Was soll ich denn machen, wenn sie wieder aufwacht?«
    Alan saß einen Schritt von ihnen entfernt auf dem Boden, die Hände locker auf den angewinkelten Knien, und betrachtete seine beiden Gefährten mit Sorge. Er hatte schon manches Mal erlebt, dass Luke außer sich vor Furcht war, aber das hier war etwas völlig Neues. Und er

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