Hiobs Brüder
wusste, es war etwas, das er nicht handhaben konnte. Luke war ein friedfertiger alter Knabe, aber eben war er gefährlich gewesen, daran konnte es keinen Zweifel geben.
Es dauerte nicht lange, bis er sich in den Schlaf geweint hatte. King Edmund schlüpfte lautlos aus der Kirche und kam wenig später mit einer Decke über dem Arm und Oswald im Schlepptau zurück. Er faltete die Decke zu einem Kissen, hob vorsichtig Lukes Kopf an, wo überall kahle Stellen durch die weißen Büschel schimmerten, und bettete ihn auf das Kissen.
Oswald sah bekümmert auf Luke hinab, setzte sich dann neben Alan, schien einen Moment mit sich zu ringen und ergriff dann seine Linke, ohne ihn anzusehen.
Obgleich es Alan immer peinlich war, wenn Oswald das tat, ließ er ihm die Hand. Vielleicht hatte er ja Glück, und weder Haimon noch der Steward oder irgendeiner seiner Pächter wählte diesen Moment, um die Kirche zu betreten.
»Was ist denn mit Luke?«, fragte Oswald ängstlich.
»Ich weiß es auch nicht«, musste Alan bekennen. »So habe ich ihn noch nie erlebt. Und ich dachte, hier in Helmsby ginge es ihm besser.«
»Zuerst war es auch so«, sagte King Edmund und setzte sich zu ihnen. »Aber seit einigen Tagen ist er nachts unruhig und jammert im Schlaf. Ich habe damit gerechnet, dass seine Schlange bald aufwacht, aber nicht … hiermit.«
Alan sah zu seinem jungen Schützling. »Das mit dem Brot hast du großartig gemacht, Oswald, nur …«
»Hat aber nichts geholfen«, fiel der ihm niedergeschlagen ins Wort.
Alan seufzte. »Nein. Doch das ist nicht deine Schuld.« Es herrschte ein längeres bedrücktes Schweigen. Dann wandte Alan sich an ihren Hirten. »Was soll ich tun, King Edmund? Ich meine … müssen wir ihn einsperren? Wie soll man das fertigbringen, eine so gepeinigte, verängstigte Kreatur einzusperren? Aber was ist, wenn ich es nicht tue und er jemanden verletzt? Sag mir, was ich machen soll.«
Edmunds Miene war tief besorgt. Voller Mitgefühl sah er auf den Schlafenden hinab, dessen alte, eingefallene Wangen immer noch tränenfeucht waren. Die Bartstoppeln, die runzligen, geschlossenen Lider mit den weißen Wimpern ließen Luke mit einem Mal sehr verletzlich und vor allem schutzlos wirken – ein greises Kind.
Mit dem vornehm verhaltenen Poltern, das ihr zu eigen war, öffnete sich die Kirchentür, und die übrigen drei Gefährten kamen herein. Leise traten sie näher, blickten einen Moment auf Luke hinab – fast andächtig, so schien es – und setzten sich dann zu ihnen. Nun bildeten sie einen Kreis um den Schlafenden.
»Der Müller hat’s uns erzählt«, berichtete Godric.
»Seine Schwester tratscht im Dorf herum, Luke habe den Teufel im Leib«, flüsterte Wulfric.
»Natürlich«, murmelte Alan. Es klang verächtlich, aber in Wahrheit sorgte er sich, was passieren mochte, wenn die Dorfbewohner sich gegen Luke wandten. Keiner der Gefährten erwähnte Gilham auch nur mit einem Wort, aber sie alle erinnerten sich daran, wie es ihnen in Godrics und Wulfrics Heimatdorf ergangen war, wo die Leute sie beinah gesteinigt hätten, weil sie glaubten, die Zwillinge seien eine teuflische Erscheinung. Die Leute von Gilham waren nicht boshafter oder grausamer als die in Helmsby. Es war immer die Furcht, die die Menschen erbarmungslos machte.
Simon rang sichtlich mit sich. Alan entging nicht, dass er verstohlene Blicke mit den Zwillingen wechselte. Und schließlich war es Wulfric, der das Wort ergriff: »Wir bleiben noch ein paar Tage. Es ist ja nicht so, als warte Henry Plantagenet dringend auf uns. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt zu gehen.« Es gelang ihm nicht ganz, seine Enttäuschung zu verbergen. Sie hatten am folgenden Tag aufbrechen wollen.
Alan dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. »Ihr solltet eure Pläne nicht ändern. Je eher ihr aus dem Land seid, desto besser.« Er sah zu Simon. »Als du zu König Stephen gegangen bist, um für Henry zu vermitteln, war mir die Tragweite dessen, was du tatest, nicht wirklich klar. Inzwischen habe ich mich erinnert und weiß wieder, wie … schmutzig dieser Krieg ist. Stephen mag dir in seiner weinseligen Nachsicht mit seinen Feinden, für die er ja dies- und jenseits des Kanals seit jeher belächelt wird, verziehen haben, dass du dich zum Fürsprecher seines Rivalen gemacht hast. Und sehen wir den Dingen ins Auge: Henry ist Stephens Rivale, die Kaiserin hat sich selbst aus dem Rennen befördert. Vielleicht kommt der König auch nicht auf den
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