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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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sein.« Er gluckste. »Nun ja. Ich gestehe, ich bin dir dankbar, dass du mir von dem unrühmlichen Ende meines unrühmlichen Onkels erzählt hast. Das ist Balsam für meine verkommene, schwarze Seele. Also vergebe ich dir einen Teil deiner Schuld, mein Bester. Sollte ich je die Gelegenheit bekommen, dich zu töten, werde ich es schnell und wenigstens einigermaßen schmerzlos tun. Der ganze Tag und die ganze Nacht sind dir erlassen.«
    Alan stand auf. »Das rührt mich zu Tränen.«
    »So geh denn hin in Frieden.«
    »Und du fahr zur Hölle.«
    Regy lachte in sich hinein, als Alan die Turmkammer verließ.
    Adelisa of Helmsby stand auf dem Grabstein. Es war ein grauer, gleichmäßig behauener Granitblock. Alan kniete sich ins hohe Gras, das die Sommerluft mit betörenden Düften erfüllte, und legte die Linke auf den Stein. Rau und sonnenwarm.
    »Es tut mir leid, dass ich erst jetzt komme«, murmelte er, und beinah verlegen schaute er sich um.
    Hier hatte sich nichts verändert. Der Teil des Gottesackers von St. Wulfstan, der den Helmsbys vorbehalten war, lag auf der Südseite der Kirche. Ælfric war der häufigste Name auf den Grabsteinen, ein paar Dunstans gab es auch, die Frauen hatten Hyld oder Ealswith oder Bertha oder Edith geheißen, und erst die jüngeren Gräber trugen normannische Namen. Wie Richard etwa, Alans Großonkel, dessen Söhne mit dem White Ship untergegangen waren. Zwischen Adelisas und Richards Gräbern war eine Lücke. Dort wollte seine Großmutter einmal ruhen, wusste Alan.
    Er erinnerte sich, dass er sich als Knabe gelegentlich hierher geschlichen hatte, wenn irgendetwas ihm zu schaffen machte. Nicht um Zwiesprache mit seiner Mutter zu halten – er hatte schon damals keinen Sinn darin gesehen, mit den Toten zu sprechen. Aber es hatte ihn getröstet und seine Einsamkeit gelindert, hier zu sein. Das war eigenartig, war doch Groll immer das vorherrschende Gefühl gewesen, das er seiner Mutter entgegengebracht hatte. Weil sie ihn erst als Bastard in die Welt geschickt und dann obendrein alleingelassen hatte. Und Haimon hatte ihn keinen Tag vergessen lassen, was er war …
    Heute konnte er kaum mehr verstehen, warum er so unnachsichtig über sie geurteilt hatte. »Was vermutlich daran liegt, dass ich selbst im Begriff bin, etwas ähnlich Anstößiges zu tun wie du«, flüsterte er. »Womöglich ist es sogar schlimmer. Und siehe da, auf einmal bin ich voller Milde.« Er musste sich selbst belächeln.
    Seine Linke strich über die Rundung des Grabsteins, und er ertappte sich bei dem Wunsch, er hätte nur ein einziges Mal die Hand seiner Mutter berühren, ihr ein einziges Mal nah sein können.
    Hastig zog er die Hand weg, streckte sich im Gras aus und sah in den wolkenlosen Himmel hinauf. Nimm dich zusammen, rief er sich zur Ordnung. Sie hat dir gefehlt, als du ein Junge warst, aber auch wenn du ständig an diese Zeit denken musst, ist sie doch vorüber. Heute ist nicht damals.
    Ein Tag vor über zwanzig Jahren kam ihm in den Sinn, ein herrlicher Sommertag wie dieser, da er auch hier im Gras gehockt hatte und ein Mann mit staubigen Stiefeln und einem kurzen grauen Bart aus der Kirche gekommen war. Als er den Jungen auf dem Friedhof entdeckte, war er lächelnd näher gekommen und hatte sich zu ihm gesetzt. »Alan. Welch eine Freude, dich zu sehen.« Und er hatte den fünf- oder sechsjährigen Knirps unter den Achseln gepackt und auf seinen Schoß gehoben. »Kein Grund, mich so verschreckt anzusehen, ich bin dein Großvater, mein Junge.«
    »Verzeihung, aber das kann nicht sein, Mylord«, hatte der kleine Alan entgegnet, artig, aber entschieden. »Mein Großvater ist im Heiligen Krieg gestorben.«
    »Ich bin dein anderer Großvater.«
    »Ich habe zwei?«
    »Natürlich. Überleg doch mal. Du hast einen Vater und eine Mutter, richtig?«
    Alan hatte den Kopf geschüttelt.
    Der Mann war ihm lächelnd mit einer großen, sehr rauen Hand über den Schopf gefahren. »Aber du hast einen Vater und eine Mutter gehabt , nicht wahr? Oder haben dich etwa die Feen gebracht?«
    Kichernd hatte er verneint.
    »Da siehst du’s. Und dein Vater und deine Mutter hatten natürlich auch Vater und Mutter. Also hast du zwei Großmütter und Großväter gehabt. Verstehst du?«
    Alan hatte ihn nicht aus den Augen gelassen und heftig genickt. Die Vorstellung, so viele Großeltern zu besitzen, hatte ihn fasziniert. »Warum wohnst du nicht hier, wenn du mein Großvater bist?«
    »Das würde ich lieber als alles andere, glaub mir,

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