Hiobs Brüder
Gedanken, dich dafür büßen zu lassen, weil er einen bedauernswerten Schwachkopf in dir sieht, das mag wohl sein. Aber es gibt andere, die weniger nachsichtig und weniger kurzsichtig sind. Dein Onkel Pembroke, zum Beispiel. Oder sein Sohn, aus dem du in Westminster vor den Augen der Wachen einen Narren gemacht hast. Was, wenn sie auf den Gedanken kommen, du könntest vielleicht nicht so harmlos sein, wie sie immer glaubten?«
»Aber Alan, du kannst nicht erwarten, dass ich einfach davonlaufe, nur weil mein grässlicher Onkel vielleicht schlecht auf mich zu sprechen ist«, protestierte Simon.
»Ich will nicht, dass er im Zorn über Helmsby kommt und meine Bauern abschlachtet. Und ebenso wenig will ich, dass er dich erwischt und Gott weiß was mit dir tut.« Und er wollte, dass Simon die Chance bekam, an Henrys Seite seinen Weg zu machen, aber das behielt er für sich. »Ich kümmere mich um Luke«, versprach er mit mehr Zuversicht, als er empfand. »Ich werde ihn einfach nicht aus den Augen lassen, und sobald ich kann, bringe ich ihn nach Norwich zu Josua ben Isaac. Wenn irgendwer Luke helfen kann, dann er.«
Dover, Juli 1147
Keiner von ihnen hatte je einen so großen Hafen gesehen, und die drei Reisenden blickten sich staunend um, mit leuchtenden Augen. Einmastige Schiffe und Boote lagen dicht an dicht entlang der Kais, wo sich Waren in Fässern, Säcken und Ballen stapelten. Hafenarbeiter, Seeleute, schmuddlige Straßenkinder und Beutelschneider liefen umher wie Ameisen, und vor jeder Hafenschenke fanden sich Huren, die mit ihren Freiern feilschten oder vorlaut um Kundschaft warben.
»Ja, was seid ihr denn für welche? So was hab ich ja noch nie gesehen. Aber kommt nur, ich werd auch mit zweien fertig!« Keck kam das junge Mädchen auf Godric und Wulfric zugeschlendert. Sie trug einen formlosen Kittel, dessen Ausschnitt so weit eingerissen war, dass er einen großzügigen Blick auf ihre vollen Brüste bot. Schuhe besaß sie nicht, aber nicht nur ihre Füße waren schmutzig. Jeder sichtbare Zoll Haut war mit einer gräulichen Dreckschicht bedeckt, und als sie näher kam, zuckten die drei Freunde vor ihrem Geruch zurück.
Hastig legte Simon den Zwillingen von hinten die Hände auf die Schultern und lotste sie um die Hure herum. »Da vorn, das muss es sein«, sagte er. »Ein Segel mit grünen Streifen, hat der Hafenmeister gesagt.«
Es war ein Handelssegler, der englisches Leder nach Dieppe bringen sollte. Ein großer Mann mit feinen Kleidern und einem braun gebrannten Gesicht beaufsichtigte ein Dutzend Arbeiter, die die schweren, zu Ballen verschnürten Häute an Bord trugen. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, und er wirkte grimmig.
Simon fasste sich dennoch ein Herz und trat auf ihn zu. »Verzeiht mir, mein Freund, ist das hier die St. Anne ?«
Der Mann streifte sie mit einem abschätzigen Blick. Nichts regte sich in seiner Miene, als er die Zwillinge sah. Er nickte.
»In dem Falle hätte ich gern Kapitän Arnod gesprochen.«
»Steht genau vor dir, Söhnchen.«
Simon lächelte höflich. »Ich suche eine Passage für meine Freunde und mich, Monseigneur, und ich bin ganz gewiss nicht Euer Söhnchen.«
»Zwei Pence für Euch, sechs für die Krüppel«, bekundete Arnod.
»Warum sind sie teurer?«, erkundigte sich Simon.
»Weil sie die Mannschaft nervös machen werden, und das bereitet mir Verdruss. Verdruss lasse ich mir immer bezahlen.«
»Für acht Pence bekommen wir einen windgeschützten Platz und ein warmes, genießbares Abendessen.«
Der Kapitän nickte und streckte die Hand aus. Simon unterdrückte ein Seufzen, als er seine Börse aufschnürte und das Geld abzählte. Ihre Barschaft schmolz schneller dahin, als ihm lieb war. Er ließ die Münzen in Arnods schwielige Hand klimpern.
Der brummte zufrieden. »Geht an Bord. Wir segeln, sobald die Ladung komplett und vertäut ist.«
Simon ging zu Godric und Wulfric zurück, die ein paar Schritte entfernt gewartet hatten.
»Schwierigkeiten?«, erkundigte sich Godric.
»Im Gegenteil. Genießbares Abendessen.«
Wulfric brummte. »Wer’s glaubt.«
»Wir können an Bord, hat er gesagt.«
Sie gingen zu der zweiten Planke weiter hinten, wo weniger Betrieb herrschte, weil das Beladen hier vermutlich schon abgeschlossen war. Am landseitigen Ende der Planke stand ein Mann von vielleicht Mitte zwanzig in sehr eleganten, aber dunkel gehaltenen Kleidern und blickte voller Skepsis auf das schmutzig graue Wasser zwischen Kaimauer und Bordwand.
»Nur
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