Hiobs Brüder
aber leider ist es nicht möglich. Vermutlich weißt du schon, dass man nicht immer tun kann, was man möchte, oder?«
»Ja.« Darüber wusste Alan eine Menge, denn seine Großmutter war sehr streng mit ihm und verbat ihm jeden Tag mindestens ein Dutzend Dinge, die er wollte. »Du bist der Vater von meinem Vater?«
»Ja.«
Niemand hatte Alan bis zu jenem Tag erzählt, dass der Vater seines Vaters der König von England war, aber dass sein Vater bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen war, wusste der kleine Junge sehr wohl. »Warst du traurig, als das Schiff untergegangen ist?«
Sein Großvater hatte ihm in die Augen gesehen und genickt. »Ich bin heute noch oft traurig deswegen.«
Alan hatte die Arme um seinen Hals geschlungen, um ihn zu trösten, und sein Großvater hatte die Umarmung sacht erwidert und, so argwöhnte Alan heute, ein paar verstohlene Tränen vergossen.
Es war das einzige Mal gewesen, dass sie einander begegnet waren.
Alan schloss die Augen und wehrte sich nicht gegen die Erinnerungen, die ihm in den Sinn kamen, ungeordnet und ohne jede sinnvolle Reihenfolge, wie Erinnerungen es eben taten. Das Zirpen der Grillen und die Wärme machten ihn schläfrig, aber auch dagegen kämpfte er nicht an. In der vergangenen Nacht hatte er tiefer und geruhsamer geschlafen als je zuvor in den letzten drei Jahren, aber er hatte immer noch viel nachzuholen …
»Alan?« Es war King Edmunds Stimme, die ihn aus seinem Lieblingstraum von Miriam und der Bank in ihrem Garten riss. »Es tut mir leid, dich zu stören, mein Sohn.«
Alan ließ die Augen geschlossen in der sinnlosen Hoffnung, das warme Gefühl des Traums so noch einen Moment länger festhalten zu können. »Das glaub ich aufs Wort.«
»Lukes Schlange ist aufgewacht. Er sitzt mitten auf der Straße und jammert, und die Leute fangen an, ihm finstere Blicke zuzuwerfen. Oswald steht daneben und ist blau im Gesicht. Also, hättest du die Güte, deinen adligen Hintern zu bewegen?«
Alan war auf einen Schlag hellwach, sprang auf die Füße, tauschte einen Blick mit seinem Gefährten und eilte dann vor ihm her um die Kirche herum.
Die Szene trug sich ausgerechnet am Dorfbrunnen zu – dem öffentlichsten Platz, den es in Helmsby gab. Luke saß zusammengekauert und leise weinend im Staub, Oswald kniete unglücklich und ratlos an seiner Seite. Er versuchte Luke zu trösten, so wie der kleine Alan es mit dem alten König getan hatte, aber Luke zuckte zusammen, sobald Oswald die Arme um ihn legen wollte, und heulte lauter. Gekränkt fuhr Oswald zurück. Gunnild und ein paar jüngere Frauen aus dem Dorf standen mit ihren Ledereimern und Krügen ein paar Schritte zur Linken und beäugten das seltsame Paar mit unsicheren, teilweise feindseligen Blicken.
Alan nickte ihnen grüßend zu. »Wenn ihr mir einen Gefallen tun wollt, geht in die Häuser. Es hat nichts zu bedeuten und vergeht gleich wieder, aber er braucht einen Moment Ruhe. Es macht die Dinge nur schlimmer, wenn ihr ihn so anstiert.«
Die Frauen rührten sich nicht.
Alan tauschte einen Blick mit King Edmund, der ohne Hast zu den Bäuerinnen und Mägden trat und sie mit leiser Stimme aufforderte, Alans Bitte zu folgen. Unwillig und langsam zerstreuten sie sich, nicht ohne allenthalben über die Schulter zurückzusehen.
Alan kniete sich hinter Luke. »Oswald, kannst du mir ein Stück Brot aus Gunnilds Haus besorgen? Tust du das für mich?«
»’türlich.« Er lächelte ihm unsicher zu – sein Groll auf Alan war entweder verraucht oder vorübergehend vergessen. Dann wandte Oswald sich ab und lief zu Gunnilds neuer Kate hinüber. In bemerkenswert kurzer Zeit kam er mit einer Scheibe Brot zurück. Sie war dick und ungleichmäßig abgesäbelt, und Alan erkannte voller Schrecken, dass Oswald das selbst gemacht hatte. Es war pures Glück, dass ihnen ein Blutbad erspart geblieben war …
Alan nahm das Brot. »Danke.« Er legte Luke vorsichtig von hinten die Arme um die Brust, zwinkerte Oswald aufmunternd zu, denn der Junge sah so erschrocken und besorgt aus, als habe er Luke noch nie in diesem Zustand gesehen. Dann konzentrierte Alan sich ganz auf seine etwas bizarre Aufgabe. »Schsch. Sei still, Luke. Umso schneller schläft sie wieder ein.«
»Diesmal nicht. Diesmal nicht, Losian.« In seiner Panik hatte er Alans Namen vergessen. »Sie beißt mich. Oh, heilige Mutter Gottes, steh mir bei, sie beißt mich !« Es war ein schriller Schrei, und hätte Alan es nicht besser gewusst, hätte er gesagt,
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