Hiobs Brüder
klopfte ihr dankbar den stämmigen Hals, nahm die Zügel, reichte sie Oswald und zeigte ihm, wie er sie halten musste. Dann wollte er Oswalds Füße in die Steigbügel führen, aber das hatte der junge Mann schon allein bewerkstelligt.
Alan saß ebenfalls auf. »Alles bereit?«, fragte er.
»Und wie!«, antwortete Oswald.
»Also dann. Hab Dank, Egbert.«
»Keine Ursache, Mylord.«
Seite an Seite ritten die beiden Freunde durch Helmsby − Oswald mit stolzgeschwellter Brust.
Unweigerlich musste Alan an die letzte Gelegenheit denken, da er Oswald auf ein Pferd gesetzt hatte: ihre Flucht aus Woodknoll, die Angst vor den Verfolgern im Nacken, vor sich die lange Wanderung ins Ungewisse, geprägt von Kälte und vor allem von Hunger.
Oswald schien sich nicht daran zu erinnern, und das war kein Wunder, denn der heutige Ritt hätte sich kaum grundlegender davon unterscheiden können. Sie hatten keine Eile, sie hatten ein Ziel, sie hatten mehr Proviant, als sie wirklich brauchten, und die Sonne strahlte, ließ das Korn auf den Feldern wie mattes Gold leuchten und erfüllte die Sommerluft mit seinem Duft.
Oswald atmete tief durch. »Riecht gut.«
»Ja«, stimmte Alan zu. »Von allen Sommerdüften ist der nach reifem Korn der beste.« Und er bescherte ihm lebhafte Erinnerungen, wie nur Gerüche es konnten: an warme, träge Sommertage, da er und Haimon im hohen Weizen Verstecken gespielt oder Räuberhöhlen gebaut hatten. Guillaumes Vater, der damals der Steward gewesen war, hatte ihnen die Ohren lang gezogen und Prügel angedroht, wann immer er sie im Feld erwischte, weil sie die kostbaren Ähren niederwalzten, aber sie waren immer zurückgeschlichen.
Am Feldrain entlang des Weges blühten Kornblumen, Kamille, Disteln, Glockenblumen und viele andere, deren Namen Alan nicht kannte. Vielleicht würde er eines Tages mit Miriam hier entlangreiten und sich von ihr die Namen der Kräuter und Blumen und ihre heilende oder schädliche Wirkung beibringen lassen. Er dachte an sie und sehnte sich nach ihr, so wie er es eigentlich jeden wachen Moment tat, aber als er mit Oswald zwischen den Feldern einherritt und schließlich in den Wald eintauchte, stellte er fest, dass er ausnahmsweise einmal zufrieden mit seinem Leben war.
Marigold hielt alles, was Edwy versprochen hatte. Sie scheute vor keinem Vogel, der plötzlich aus dem Dickicht brach, und sie trieb keine Späße mit ihrem ungeübten und meist unaufmerksamen Reiter. Oswald geriet allenthalben in Entzücken über die Blumen und Bäume und Schmetterlinge und hätte alle zwanzig Schritte angehalten, hätte Alan das geduldet. Doch als Alan versuchsweise antrabte und dann sogar ein Stück galoppierte, entdeckte Oswald den Rausch der Geschwindigkeit, und von da an ging es ihm nie schnell genug. Sie sprachen über alles, was ihnen in den Sinn kam, sie lachten, sie stritten über die Gangart, und lange vor Mittag – gar nicht mehr weit vom Ziel entfernt − hielten sie an, legten sich ins Farn und aßen und tranken weit mehr von den Köstlichkeiten, die Emma ihnen eingepackt hatte, als nötig gewesen wäre. Alan kam in den Sinn, dass dies wohl die unbeschwertesten Stunden waren, die er erlebt hatte, seit er in St. Pancras aus dem Fieber erwacht war.
Auch in Metcombe war die Ernte in vollem Gange, und die Bauern, ihre Frauen und Kinder waren auf den Feldern. Manche Sense verharrte mitten im Schwung, als Alan und Oswald vorbeiritten, und die Leute erwiderten ihren Gruß höflich, aber unverkennbar reserviert.
In der Mühle am Ufer des Ouse war ebenso viel Betrieb wie in der von Helmsby, und in der nahen Schmiede sang der Hammer.
Alan hielt davor an und saß ab. »Hiergeblieben, Grendel.«
Der große, zottelige Hund war schon schwanzwedelnd auf dem Weg zur Tür, machte aber kehrt und kam zurück.
Alan trat zu Marigold und nahm Oswalds Arm. »Absitzen.«
»Ich kann das allein«, beschied Oswald.
Alan ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. »Fang ja nicht an zu heulen, wenn du auf die Nase fällst.«
Aber Oswald glitt ohne Missgeschicke, geradezu elegant, aus dem Sattel und blieb mit einem triumphalen Lächeln vor Alan stehen. Dann folgte er dessen Beispiel, schlang die Zügel über den niedrigen Ast eines Apfelbaums und klopfte Marigold fachmännisch den Hals.
Die Tür zur Schmiede stand weit offen, trotzdem war es drinnen dämmrig und heiß wie in der Hölle.
Oswald schreckte zurück, als ihm die Hitze und die einzigartige Geruchsmischung aus brennender Holzkohle
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