Hiobs Brüder
auszusperren, das kleine Feuer, das einen Schritt zu seiner Rechten munter zu prasseln begann, das erwartungsvolle Grinsen der Trolle. Und um zu beten und an Miriam zu denken und sie sich vorzustellen, so wie er sie zum ersten Mal gesehen hatte auf dem Platz am Brunnen vor der Synagoge, mit ihrem kleinen Bruder an der Hand. Aber es ging nicht. Er musste de Laigle unverwandt ansehen, damit der ja nichts von seiner Furcht bemerkte.
De Laigle erwiderte seinen Blick mit kühler Gelassenheit, und schließlich sagte er: »Jetzt sucht euch einen glühenden Stecken und stecht dem Schwachkopf ein Auge aus.«
Alan stockte der Atem, und es war, als ziehe seine Kopfhaut sich zusammen. Er sah zu Oswald. Der Junge hielt immer noch den toten Hund in den Armen, wiegte ihn sacht und weinte leise vor sich hin. Er hatte nicht gehört, was ihm bevorstand.
De Laigle gestattete sich ein kleines hasserfülltes Lächeln und folgte für einen Moment Alans Blick.
Der Moment war genug.
Alan riss den Kopf zur Seite. Fast im selben Augenblick stieß die Klinge zu, aber sie ging ins Leere. Alan sprang über das kleine Feuer und rannte zwischen die Bäume.
»Losian!«, rief Oswald angstvoll. »Lass mich nicht allein! Bitte, Losian, bitte …«
Er wandte sich nicht um. Er rannte, den Blick auf die dunkle Erde gerichtet, und gleich hinter sich hörte er die Verfolger, das Knarren ihrer Stiefel, den Fall ihrer Schritte, das Schleifen der Klingen, die die beiden Trolle zogen.
»Losian!«
»Bleib stehen, ich krieg dich ja doch«, keuchte de Laigle.
Vermutlich ja, fuhr es Alan durch den Kopf. Mit den gebundenen Händen hatte er keine Chance, schneller zu laufen als sie. Er fühlte ein warnendes Kribbeln im Nacken. Beinah hatten sie ihn. Er verlängerte seinen Schritt, warf den Oberkörper nach vorn, als er eine Hand spürte, die nach ihm greifen wollte, setzte über einen umgestürzten Baum, und dann sah er endlich das verräterische dunkle Grasbüschel, wonach er den Boden abgesucht hatte. Mit einem Satz glitt er nach rechts und ließ sich fallen.
De Laigle reagierte nicht sofort, und noch ehe er Alans Richtungswechsel so recht zur Kenntnis genommen hatte, gab der Boden unter seinen Füßen mit erschütternder Plötzlichkeit nach. Mit einem gedämpften Schreckenslaut landete der Normanne im Sumpf und war augenblicklich bis zur Hüfte eingesunken.
»Gott verflucht …«, schnauzte er angewidert. »Zieht mich raus!«
Einer seiner Trolle war neben Alan stehen geblieben und hielt ihn mit der Waffe in Schach. Als Alan sich mit einem kleinen Ruck aufsetzte, wich er einen halben Schritt zurück.
Der andere stand am Rand des Schlammlochs und blickte ein wenig ratlos auf seinen eingesunkenen Dienstherrn.
»Hörst du nicht, du Tölpel, hol mich raus«, befahl de Laigle noch einmal.
»Sofort, Monseigneur.« Er nahm hastig seinen Gürtel ab, trat einen Schritt näher an den Rand und warf de Laigle das lose Ende zu.
Wahrhaftig ein Tölpel, dachte Alan mit Befriedigung.
De Laigle packte das rettende Seil mit der unverletzten Hand, zog, und prompt brach der Rand des Sumpflochs unter den Füßen des Tölpels weg. Auch der landete mit einem gedämpften Platschen in der widerlichen schwarzbraunen Suppe.
»Du Schwachkopf!«, schrie Rollo de Laigle. Der erste Anflug von Furcht war in seiner Stimme.
Sein Leidensgenosse schlug in Panik um sich. »Hilfe! Fulk! Hilf mir! Hilf mir!« In Windeseile steckte er bis zu den Schultern im Sumpf. De Laigle versuchte, an den Rand des Lochs zu gelangen, und stützte sich dabei auf den bedauernswerten Tölpel, der schreiend unterging.
Und nicht wieder auftauchte.
»Fulk, hol mich raus!« De Laigles Stimme bebte.
Fulk trat einen Schritt zurück und sah auf Alan hinab. »Wie?«, fragte er hilflos.
Alan hob lächelnd die Schultern. »So jedenfalls nicht.«
»Tu du es.« Es war beinah eine Bitte. »Na los. Fisch ihn raus.«
Alan kam auf die Füße. »Du wirst mich losschneiden müssen.«
»Mach schnell!«, kam es aus dem Schlammloch.
Fulk nickte. »Dreh dich um.«
Folgsam wandte Alan ihm den Rücken zu, wartete, bis er seiner Fesseln ledig war, fuhr mit dem Dolch in der Faust wieder herum und rammte Fulk die Klinge ins Herz. »Ich fürchte, du bist auch ein Tölpel«, gab er dem Sterbenden mit auf den Weg.
Fulk sank beinah lautlos ins Gras.
Alan trat so nah an das Schlammloch, wie man riskieren konnte.
»Helft mir!«, schrie de Laigle, die Augen vor Entsetzen geweitet. »Helft mir, ich flehe Euch an …«
»
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