Hiobs Brüder
vor Wallingford brauchen. Nur ruft niemand nach ihm, weil er ein Verfemter ist. Er zeigt es nicht, aber es verbittert ihn.«
»Henry ist völlig egal, was die Kirche von einem Mann hält. Er wird Alan an seine Seite holen, sobald er in England ist«, prophezeite Simon.
Becket nickte langsam. »Hm. Und für kaum einen Mann hängt so viel von Henrys Erfolg ab wie für Alan of Helmsby.«
Simon, Godric und Wulfric reisten mit einem Flusskahn themseaufwärts, und sie sogen den Anblick der lieblichen urenglischen Flusslandschaft gierig in sich auf. Der September war golden, Vieh weidete auf den Wiesen, die Silberweiden am Ufer begannen gerade, sich zu verfärben, und Simon staunte darüber, wie friedvoll das Land wirkte. Es schien, als sei der Krieg hier schon vergessen.
Das flache Gefährt brachte eine Ladung Wollsäcke nach Reading und zwei Benediktiner nach Abingdon. Die Mönche hatten Godric und Wulfric zuerst mit Argwohn betrachtet, tauten aber bald auf, als sie feststellten, dass den Zwillingen mehr daran gelegen war, sie zum Lachen zu bringen, als ihnen die Kehle durchzuschneiden. Simon wartete genau den richtigen Moment ab, und als er merkte, dass die Mönche Zutrauen fassten, lud er sie ein, ihr üppiges Mahl aus Schinken, Brot und Bier zu teilen. Begeistert stimmten sie zu, denn solche Kost war den einfachen Brüdern in den Klöstern nur selten vergönnt. Also schmausten sie mit Wonne, und Simon erfuhr mit seinen beiläufig eingestreuten Fragen, dass sie in Canterbury gewesen waren, um ein Buch in der dortigen Bibliothek zu kopieren. »Die fertige Abschrift bringen wir nun unserem Abt. Er wartet sehnsüchtig darauf. Und auch wenn es unbescheiden ist, muss ich sagen: Unser Werk kann sich sehen lassen. Oder, Bruder Mark?«
»Allerdings«, stimmte der zweite Mönch zu. »Wir haben die Initialen nicht mit Goldfarbe ausmalen können, aber dafür ist unsere Schrift viel gleichmäßiger und besser zu lesen. Dieser ganze Unsinn mit den goldverzierten Anfangsbuchstaben ist Gott sowieso nicht gefällig. Mithin ist unsere Kopie frommer als das Original.«
Simon nickte. »Was für ein Buch ist es?«
»Eine lateinische Geschichte der englischen Heiligen. Abt Hugo sagt, wir müssen ihr Andenken bewahren, weil die angelsächsischen Heiligen im normannischen England allmählich aus der Mode kommen.«
»Anständig für einen normannischen Abt«, befand Wulfric.
Simon hätte zu gern einen Blick auf das Buch geworfen, aber er fragte nicht. Es war viel zu riskant, etwas so Kostbares auf einem wackligen Flusskahn aus seiner schützenden Lederhülle zu holen und womöglich ins Wasser fallen zu lassen. »Das heißt, Ihr seid in Abingdon zu Hause, Bruder Mark?«
Der junge Mönch nickte. »Ich bin sogar da geboren. Stephens Horden haben meine ganze Familie abgeschlachtet. Da war ich fünf, glaub ich. Die Brüder haben mich aufgenommen.«
»Dann wisst Ihr doch sicher, wie es um Wallingford steht?«
»Wozu wollt Ihr das wissen?«, fragte Bruder Cynewulf. »Einem de Clare raubt es doch gewiss nicht den Schlaf, wenn die Garnison in Wallingford Castle von Ratten und Stroh leben muss.«
Simon zog einen Brief aus der eingenähten Tasche in seinem Bliaut und hielt den Mönchen das Siegel hin. »Erkennt Ihr es?«
»Der Herzog der Normandie?«, fragte Bruder Mark aufgeregt. »Henry Plantagenet?«
»Schsch, nicht so laut«, warnte Godric mit einem Blick auf den Schiffer. Dann antwortete er: »Er schickt uns. Auch ein de Clare kann sich besinnen und in den Dienst des Mannes treten, der der rechtmäßige Thronerbe Englands ist.«
Bruder Mark nickte. »Nichts für ungut, Monseigneur«, bat er.
Simon winkte ab. »Also? Was könnt Ihr mir sagen?«
»Es steht schlecht um Wallingford«, berichtete Bruder Cynewulf. Er hatte die Stimme gesenkt und zupfte nervös an der gedrehten Kordel, die ihm als Gürtel diente. »Sehr schlecht. Sie sind bald am Ende, heißt es. Die Belagerung dauert jetzt schon fast ein Jahr. Ich glaube nicht, dass sie noch einen Winter überstehen.«
»Wie ist die Burg befestigt? Palisaden oder Steinmauer?«
»Zwei Palisaden, der Turm ist aus Stein. Warum? Wollt Ihr rein?«, fragte Bruder Mark scherzhaft.
Simon machte eine unbestimmte Handbewegung. »Gibt es einen Weg hinein, von dem Stephens Belagerungstruppen nichts wissen?«
Bruder Mark sah ihn versonnen an. »Könnt Ihr schwimmen?«, fragte er dann.
Simon seufzte.
Wallingford Castle erhob sich gleich am Westufer der Themse und ragte wie ein gewaltiger
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