Hiobs Brüder
Findling aus dem flachen Umland auf. Auf der gegenüberliegenden Flussseite stand Crowmarsh, die Burg, die König Stephen als Basis für seine Belagerungstruppen errichtet hatte. Eine Brücke über den Fluss schien die beiden Festungen zu verbinden, doch beide Enden waren von den Belagerern versperrt und schwer bewacht.
»Großartig«, befand Godric. »Wir werden wieder einmal zwischen Hammer und Amboss geraten.«
»Ihr nicht«, gab Simon zurück, ohne den Blick von der belagerten Burg abzuwenden.
»Simon …«, begann Godric ungehalten, aber weiter kam er nicht.
»Schmal, hat Bruder Mark gesagt«, erinnerte Simon ihn. »Fast zu schmal für einen ausgewachsenen Mann. Also mit Sicherheit zu schmal für euch. Das musst selbst du einsehen.«
»Aber es gefällt mir nicht«, grollte sein Freund.
»Das verlangt ja auch niemand.« Simon gefiel es auch nicht. Es machte ihm im Gegenteil eine Heidenangst.
Sie hatten sich in einem der vielen verlassenen Gehöfte unweit der Burg eingenistet, um auf den Einbruch der Nacht zu warten, und waren auf das Scheunendach geklettert, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Belagerungstruppen hatten vom Ufer aus einen Ring um die äußere Palisade von Wallingford Castle gezogen. Ungefähr alle hundert Yards stand eine der Belagerungsmaschinen, die speerartige Pfeile und Felsbrocken ins Burginnere oder gegen die Einfriedung schleuderten. Die Palisaden waren hier und da geschwärzt oder gesplittert, aber noch hatten die Belagerer nicht viel ausgerichtet, und für heute schienen sie Feierabend gemacht zu haben. Wachfeuer flammten in der Dämmerung auf. In Abständen von vielleicht zwanzig Schritten bildeten sie fast einen exakten Kreis um die belagerte Festung.
Wallingford Castle stehe auf felsigem Grund, hatte Bruder Mark Simon erklärt. Darum sei es unmöglich gewesen, innerhalb der Palisaden einen Brunnen zu graben. Um der Gefahr zu begegnen, dass der Burgbesatzung im Falle einer Belagerung das Wasser ausging, gab es zwei große Zisternen. Aber Wallingford war im Laufe dieses Krieges schon zweimal belagert worden, beide Male für lange Zeiträume. Brian fitzCount, der Burgherr, hatte darum eine schmale Röhre vom Keller des Speicherhauses zum Fluss gegraben und mit gebrannten Ziegeln auskleiden lassen. So weit flussaufwärts war die Themse sauber, das Wasser zumindest für das Vieh gut genug. Und die Zuleitung gewährleistete, dass die Verteidiger immer genügend Wasser hatten, um Brände zu löschen, wenn die Feinde mit Feuer angriffen, und bei Trockenheit die Palisaden feucht zu halten, damit sie nicht niedergebrannt werden konnten. Die Öffnung dieses Tunnels an der Uferböschung lag natürlich unter Wasser. Wie lang genau er war, wussten die Mönche nicht. Aber es war schon mal jemand hindurchgetaucht. Jedenfalls hatten sie das gehört …
Simon hatte genug gesehen. Vorsichtig ließ er sich mit den Füßen voraus das strohgedeckte Dach hinab bis zur Traufe gleiten, und von dort sprang er. Er landete sicher auf beiden Füßen im Stroh, das sie für ihren Abstieg hier aufgehäuft hatten. Er drehte sich nicht um, um den Zwillingen zuzuschauen, weil ihm immer das Herz stehenzubleiben drohte, wenn er sie klettern sah. Also wartete er einfach, bis sie neben ihm landeten – mindestens so geschickt wie er.
Sie gingen zurück ins Innere der Scheune, packten ihren Proviant zusammen und schnürten ihre Bündel, die klein und leicht waren. Simon, Godric und Wulfric hatten gelernt, sich beim Reisen auf das Nötigste zu beschränken.
»Die Wachfeuer sind viel zu nah beieinander. Wie willst du hindurchkommen?«, fragte Wulfric.
»Überhaupt nicht«, antwortete Simon. »Ich gehe außerhalb des Belagerungsringes ins Wasser und schwimme.« Und weil er wusste, dass er sie nicht davon abhalten konnte, fügte er hinzu: »Bis zur Öffnung der Wasserleitung könnt ihr mitkommen.«
Seine Freunde nickten. Es war einen Moment still. Dann fragte Godric: »Hast du auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wie du wieder rauskommen willst? Ich hoffe, du hast nicht vor, gegen die Strömung und bergan zu schwimmen?«
»Nein.« Aber was er stattdessen beabsichtigte, sagte er nicht, weil er es noch nicht wusste. »Eins nach dem anderen, Godric. Lass mich erst einmal hineinkommen.« Er spähte durch die torlose Öffnung der Scheune ins Freie. »Noch nicht dunkel genug«, murmelte er.
Eine gute Stunde später machten sie sich auf den Weg. Die Septembernacht war windstill und kühl. Kein Wölkchen
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