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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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trübte den Nachthimmel, aber der Mond war noch nicht aufgegangen, sodass die Dunkelheit sie deckte. Die Sterne spendeten ihnen gerade genug Licht, um sich zu orientieren und zu erkennen, wo das Ufergras endete und der Fluss begann. Lautlos ließen sie sich ins Wasser gleiten, das ihnen bis an die Hüften reichte, und wateten näher an die belagerte Burg heran. Vielleicht noch zwanzig Schritte vom Wachfeuer am Ufer entfernt blieben sie stehen, und Simon drückte Wulfric den Pfeil in die Hand, den er getragen hatte. Mit Nadel und Faden, die er nach Henrys Beispiel auf jeder Reise mit sich führte, hatte er den Brief mit dem herzoglichen Siegel an den Pfeilschaft genäht, da er ihn schlecht durchs Wasser in die Burg tragen konnte. Wulfric wusste, was er zu tun hatte. Sie hatten alles genau besprochen. Ob jedoch ein Pfeil, der solch eine Last trug, über die Palisaden fliegen würde, wussten sie nicht.
    Wulfric maß die Entfernung mit einem fachmännischen Blick, legte ohne Hast den Pfeil ein und spannte. Gut hörbar schnellte der Pfeil von der Sehne und verschwand in der Nacht.
    »Was war das?«, fragte eine Stimme von jenseits des Wachfeuers. »Hast du das gehört, Alfred?«
    »Klang wie ein Bogen«, antwortete der zweite Soldat der Nachtwache.
    Immer noch ohne ein Wort der Absprache ließen Simon, Godric und Wulfric sich ins Wasser gleiten und tauchten ein Stück. Sie schwammen vielleicht zwanzig Züge weit. Dann stellte Simon die Füße wieder auf den schlammigen Grund des Flusses und richtete sie langsam auf. Die Zwillinge waren nur einen Schritt hinter ihm.
    Langsam, um jedes Plätschern zu vermeiden, hob Godric den Arm und wies auf die einzelne Birke am Ufer. Drei Schritte links davon liege die Öffnung zur Wasserleitung, hatte Bruder Mark gesagt. Oder möglicherweise auch drei Schritte rechts davon. Ganz genau erinnerte er sich nicht.
    Lautlos watete Simon auf den Baum zu, und als er noch drei Schritte entfernt war, tauchte er wieder unter und tastete. Er fand die Öffnung ohne Mühe, denn er spürte einen deutlichen Sog. Simon streckte den Kopf aus dem Wasser und nickte den Zwillingen zu.
    Schweigend standen sie einen Moment dicht beieinander. Hier reichte ihnen das Wasser bis an die Brust, und man musste aufpassen, dass der eilige Fluss einen nicht umriss. In der Dunkelheit sah Simon das Weiße in den Augen seiner Freunde leuchten. Ihre Mienen konnte er nicht erkennen, und dafür war er dankbar. Er legte keinen Wert darauf, seine eigenen Befürchtungen in ihren Gesichtern widergespiegelt zu sehen.
    Es war besser geworden mit der Fallsucht, seit er erwachsen war. Die Anfälle kamen seltener. Aber immer noch gern in unpassenden Momenten. Und er wusste, wenn einer ihn dort unten in der Wasserröhre ereilte, dann würde er ertrinken. Warum, warum musste er mit diesem grässlichen Leiden geschlagen sein? Warum konnte er nicht sein wie andere Männer?
    »Geh nicht«, flehte Godric wispernd.
    Wulfric hob die Hand und presste sie seinem Bruder auf den Mund.
    Simon nahm den Schwertgürtel ab und reichte ihn Godric. Ohne seine Waffe, die er wie jeder Mann von Stand nicht nur zum Schutz, sondern auch als Symbol seiner Stellung trug, fühlte er sich nackt und unvollständig wie eine Schnecke ohne Haus. Aber er wusste, er durfte nichts mit in den Tunnel nehmen, was ihn behindern könnte.
    Er lächelte seinen Freunden mit mehr Zuversicht zu, als er empfand, atmete einige Male tief durch und tauchte dann unter.
    Er erkundete die Röhre tastend mit beiden Armen. Zu eng für Schwimmzüge, erkannte er. Damit hatte er gerechnet, aber glücklich machte die Erkenntnis ihn trotzdem nicht. Er tauchte noch einmal auf, mit geschlossenen Augen. Er wollte die Zwillinge jetzt nicht mehr ansehen. Er wollte allein sein mit seiner Aufgabe und seiner Furcht. Wieder pumpte er mehrere Male Luft in seine Lungen, ließ sich zurück unter Wasser gleiten und tauchte mit den Armen voraus in die Röhre.
    Seine Finger ertasteten raue Ziegel mit kleinen Lücken, an denen man sich festkrallen und vorwärtsziehen konnte. Er hielt die Augen geschlossen, weil er die Schwärze nicht sehen wollte, und konzentrierte sich allein auf das, was sein Tastsinn ihm mitteilte. Seine kräftigen Finger fanden Halt, gleichzeitig stieß er sich seitlich mit den Füßen von den Wänden ab, und er bewegte sich vorwärts. Gar nicht einmal so langsam, schien es ihm. Immerhin war die Strömung auf seiner Seite.
    Nach vielleicht zwanzig Yards machte der Tunnel eine Biegung

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