Hiobs Brüder
nach rechts, und einen grauenvollen Moment lang war Simon sicher, sie sei zu eng, um sich hindurchzuzwängen, aber es ging. Er spürte die ersten warnenden Anzeichen von Atemnot und ließ ein paar Luftbläschen aus seinem Mund entweichen.
Die Röhre führte wieder geradeaus und leicht abwärts. Seine Finger suchten und fanden Halt, tasteten erneut. Die nassen Kleider zogen ihn auf den Grund, aber er stieß sich mit den Füßen ab und glitt bäuchlings weiter vorwärts. Die Atemnot wurde schlimmer. Seine Lungen begannen zu schmerzen, und das Bewusstsein, von Wasser umgeben zu sein, über sich Tonnen aus Erde und Fels zu haben und nicht zurückzukönnen, nahm ihn mehr und mehr in Besitz. Er kniff die Augen fester zu und betete das Paternoster , um nicht daran zu denken, nicht in Panik zu geraten.
Als es vor seinen geschlossenen Lidern zu flimmern begann, wurde die Panik übermächtig. Kein Anfall, flehte er, oh Jesus Christus voll der Gnaden, alles, nur kein Anfall … Er öffnete den Mund und schrie. Der entstellte, wässrige Klang seiner Stimme brachte ihn halbwegs wieder zu Verstand, denn er war etwas Lebendiges und Menschliches. Aber keine Luft war in seinen Lungen übrig. Als er Wasser in den Mund strömen fühlte, presste er die Lippen zusammen und stieß sich mit den Füßen weiter vorwärts, suchte mit den Händen nach Halt, zog und schob. Er wusste, seine Zeit war abgelaufen. Entweder er erreichte das Ende des Tunnels innerhalb der nächsten vier, fünf Herzschläge oder überhaupt nicht.
Seine Lungen schrien nach Luft; Kopf und Ohren schmerzten immer schlimmer, als die Röhre sich endlich verbreiterte. Seine linke Hand und Schulter verloren den Kontakt mit den Ziegeln. Er streckte beide Hände aus und zog vorsichtig die Beine an. Es ging. Er hatte Platz über sich, aber ebenso Wasser. Mit den Füßen stieß er sich ab und schoss nach oben. Hart stieß sein Kopf gegen ein Hindernis, aber noch während ein letzter, jämmerlicher Laut der Verzweiflung sich seiner schmerzenden Kehle entrang, spürte er das Hindernis ein wenig nachgeben. Er streckte die Hände über dem Kopf aus und schob mit der Kraft des Überlebenswillens. Doch sie reichte nicht. Was immer es war, das ihm den Weg nach oben versperrte, ließ sich nicht weiter als einen Zoll anheben. In einem letzten Aufbäumen streckte Simon die Beine aus. Noch mit halb angewinkelten Knien fanden seine Füße den Boden. Verblüfft erkannte er, dass das Becken überhaupt nicht tief war, stellte sich hin und stemmte mit Kopf und Händen. Die Falltür aus dicken Holzbohlen, die verhinderte, dass das Flusswasser den Keller flutete, gab nach und öffnete sich einen breiten Spalt.
Simon tauchte bis zu den Schultern aus dem Wasser und rang röchelnd nach Luft. Viermal, fünfmal schöpfte er Atem, ehe er in der Lage war, sich an den Rand des Beckens zu tasten und die Falltür so weit zu öffnen, dass sie krachend zu Boden fiel.
Er keuchte immer noch, als er die Augen aufschlug. Links seines Blickfelds war eine Lichtquelle, und genau vor seinen Augen ein Bein und eine matte Schwertklinge.
»Atme«, riet eine Stimme. »Lass dir Zeit. Hier ist genug Luft, du wirst sehen. Und wenn du so weit bist, verrätst du mir vielleicht, wer du bist und was dich herführt. Aber es hat keine Eile. Ich weiß, wie du dich fühlst, ich bin auf dem gleichen Weg hergekommen.«
Simon legte den Kopf in den Nacken und sah in ein bärtiges, junges, aber ausgemergeltes Gesicht, das ihm sofort Vertrauen einflößte. Er ließ den Kopf wieder sinken, sog unverändert gierig Luft in seine Lungen und befolgte den Rat: Er ließ sich Zeit. Als das Rauschen in den Ohren und der Schmerz in der Kehle ein wenig nachließen, sagte er: »Mein Name wird Euch nicht gefallen. Aber Henry Plantagenet schickt mich. Ich habe Euch seinen Brief über die Palisaden geschickt. Zumindest hoffe ich das.«
Das Schwert verschwand aus seinem Blickfeld, und eine kräftige Hand legte sich um seinen Arm. »Der Brief ist sicher gelandet, und Euer Name stand drin. Ich schlage vor, Ihr kommt ins Trockene, Simon de Clare. Willkommen auf Wallingford Castle. Viel anbieten können wir Euch nicht, fürchte ich, aber wenigstens ein Feuer und eine Decke, damit Ihr Euch nicht den Tod holt.«
Simon kletterte aus dem Becken, warf einen kurzen Blick auf das schwarze Wasser, das über den Rand schwappte, und unterdrückte mit Mühe ein Schaudern. »Das ist nicht so wenig, Monseigneur«, erwiderte er.
Der bärtige Ritter, der
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