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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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reglos im Wasser knien.
    »Was … ist das?«, fragte Miles, aber seiner Stimme war anzuhören, dass er es genau gesehen hatte.
    »Ein Finger«, hörte Simon sich antworten. »Der kleine Finger der linken Hand meines Freundes Godric, um genau zu sein.«
    Miles stieß einen angewiderten Laut aus. »Bist du sicher?«
    Simon nickte. Der Fingernagel hatte eine unverwechselbare Delle. Und der Beutel gehörte Godric.
    Es war eine Weile still. Nur das leise Plätschern des eindringenden Wassers war zu hören. »Und was nun?«, fragte Beaumont schließlich.
    Simon stand auf, hob die Falltür an und ließ sie krachend zufallen. Dann sah er dem anderen Ritter ins Gesicht. »Das war’s, Miles. Ich muss gehen.«
    »Nein, tu das nicht, Mann. Wenn sie deine Gefährten geschnappt haben, sind sie vermutlich schon tot. Wozu willst du dein Leben auch noch wegwerfen?«
    Simon hörte gar nicht hin. Er wandte sich zur Treppe. »Ich schätze, mit dem, was wir haben, kommt ihr über den Winter. Also hat unser Plan seinen Zweck erfüllt. Kämpft weiter und vertraut auf Henry Plantagenet, er wird kommen.«
    Er hastete die Stufen hinauf, und Beaumont lief ihm nach. Oben packte er ihn am Ellbogen. »Simon, um Himmels willen …«
    »Du weißt genau, was dieser Finger bedeutet«, entgegnete er scharf, aber gedämpft, damit die Männer mit den Eimern ihn nicht hörten. »Er bedeutet: Komm heraus. Wir werden so lange damit weitermachen, sie in Stücke zu schneiden, bis du kommst .«
    »Und du meinst, wenn du gehst, hören sie auf?«, fragte Miles bitter.
    »Hast du einen Bruder, Miles?«
    »Drei.«
    »Ganz gleich, wie nah sie dir stehen, sie können dir nicht das bedeuten, was diese beiden Männer für mich sind. Das kannst du nicht verstehen, und ich habe keine Zeit, es dir zu erklären, aber ich kann sie nicht sterben lassen und dann weiterleben. Also sei so gut und lass mich gehen, oder ich muss die Klinge gegen dich ziehen.«
    Miles ließ die Hand sinken. »Du trägst doch gar keine«, wandte er hilflos ein.
    »Du siehst sie nur nicht.«
    »Und willst du dich noch nicht einmal von ihr verabschieden?«
    Simon schüttelte den Kopf, nahm ein langes Seil von einem der Borde im Speicherhaus und ging zur Tür. »Sie würde mich zurückhalten. Womöglich würde ich auf sie hören. Und das will ich nicht riskieren. Leb wohl, Miles.«
    »Warte. Ich komme mit. Ich helfe dir beim Abseilen.«
    »Nein. Vermutlich schießen sie heute Nacht auf jeden Schatten auf der Brustwehr. Wenn du etwas Sinnvolles tun willst, weck die anderen und geht in Stellung. Wer kann sagen, was hier vor Sonnenaufgang noch geschieht.«
    Und damit verließ er das Speicherhaus, überquerte den unteren Burghof mit langen Schritten und stieg an der Flussseite zum Wehrgang hinauf. Im Mondschein sah er am Ufer acht Männer stehen. Drei trugen Fackeln. Zwei weitere beugten sich über die beiden Gestalten am Boden. Dann wies einer der Fackelträger mit dem Finger auf Simon, der gut sichtbar im Mondlicht über dem Torhaus stand. Während er das Seil anknotete und den Abstieg begann, machten sich vier auf den Weg zu ihm. Wann immer er über die Schulter schaute, sah er sie argwöhnische Blicke zur Brustwehr werfen, weil sie vermutlich eine Falle und Pfeilschüsse aus der Dunkelheit fürchteten, aber dennoch eilten sie näher. Simon rechnete seinerseits jeden Moment mit einem Pfeil im Rücken, doch nichts geschah. Die letzten drei oder vier Yards musste er springen. Er landete nicht ganz sicher, fiel auf die Knie, und bevor er wieder aufstehen konnte, waren sie über ihm, fesselten ihm die Hände auf den Rücken und zerrten ihn dann auf die Füße.
    Der Mann neben dem Fackelträger war ein Ritter in einem polierten Kettenhemd. Er nahm den Helm mit dem Nasenschutz ab und entblößte einen Schopf wirrer Locken, die seinen Kopf umstanden wie ein unordentlicher Heiligenschein. Er lächelte liebenswürdig. »So treffen wir uns wieder, Cousin. Als ich das angelsächsische Ochsengespann sah, wusste ich, du kannst nicht weit sein.«
    »Richard.« Simon nickte frostig. Er war weit weniger überrascht, als sein Vetter offenbar erwartet hatte. In dem Moment, als der Finger aus Godrics Beutel gefallen war, hatte Simon gewusst, dass dies hier etwas Persönliches war. » Du führst diese Belagerung? Kein Wunder, dass sie schon über ein Jahr dauert …«
    Richard de Clare war seit dem Tod seines Vaters vor vier Jahren der Earl of Pembroke und Respektlosigkeiten dieser Art offensichtlich nicht gewöhnt.

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