Hiobs Brüder
Für einen Moment drückte seine Miene eine beinah komische Verblüffung aus, dann schlug er Simon die behandschuhte Faust ins Gesicht. Simon wurde zur Seite geschleudert und wäre gestürzt, hätten die Soldaten ihn nicht gehalten.
Er spürte Blut über sein Kinn laufen, wischte es an der Schulter ab, sah seinen Cousin wieder an und nickte. »Alles wie gehabt, nicht wahr?«
Richard hatte sich wieder weit genug gefangen, dass er lächeln konnte. »Ich merke, du hast unsere Begegnung in Westminster auch nicht vergessen. Das erleichtert mich. Deine beiden Ochsen hatten keine Ahnung, wer ich bin.«
Das war durchaus möglich, überlegte Simon. Godric und Wulfric waren Richard nur das eine Mal begegnet, als sie damals auf der Suche nach König Stephen nach Westminster gekommen waren. Das war lange her, und seither hatten sie eine Menge aufregenderer Dinge erlebt. Aber wenn es wirklich stimmte, dass sie seinen Cousin nicht erkannt hatten, was war es dann, wovor Godric ihn hatte warnen wollen in der Nacht, als Simon zum ersten Mal aus der belagerten Burg zurückgekommen war?
»Was hast du mit ihnen getan?«, fragte er, und es kostete ihn Mühe, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen.
»Ich bring dich gleich zu ihnen, dann kannst du zählen, wie viele Fingerchen sie noch haben«, stellte Richard in Aussicht.
»Bei allem, was du tust, solltest du eins nicht vergessen, Cousin. Henry Plantagenet schätzt meine beiden englischen Freunde sehr.«
»Ja, so was wär ihm glatt zuzutrauen. Der ist ja selber nicht bei Trost …« Richard setzte sich in Bewegung, und die Wachen stießen Simon vorwärts.
»Bei Trost oder nicht; es besteht immerhin die Chance, dass er der nächste König von England wird«, entgegnete er. »Also tu dir selbst den Gefallen, halt einen Moment inne und überlege, wie klug es ist, seinen Freunden die Finger abzuschneiden.«
Scheinbar freundschaftlich legte sein Cousin ihm die Hand in den Nacken und rüttelte ihn ein bisschen. »Verflucht schade, dass du eben noch nicht da warst, um mir so kluge Ratschläge zu geben, Simon. Denn jetzt ist es zu spät.«
Simon rang mit Übelkeit, als sie am Ufer ankamen, aber er sah sofort, dass Richard gelogen hatte. Godric und Wulfric saßen gefesselt im Gras und sahen ihm mit unbewegten Mienen entgegen. Godric hatte die linke Hand mit der rechten umschlossen, und ein stetiges Blutrinnsal tropfte in seinen Schoß, aber zumindest die Rechte war noch vollständig, und Wulfric schien gänzlich unverletzt.
Simon blieb vor ihnen stehen. »Ich habe dir deinen Finger mitgebracht«, sagte er auf Englisch zu Godric.
Der sah auf und grinste ihn an. »Wie umsichtig von dir, Mann. Wenn wir nach Hause kommen, werd ich ihn trocknen und in eine Schachtel legen. Zur Erinnerung an deinen Vetter, diesen Sausack.«
Simon zwinkerte ihm zu, fragte aber gleichzeitig leise: »Schlimm?«
»Ach was«, machte Godric abschätzig. »Mit meinem Bruder zusammen hab ich immer noch neunzehn Finger, wer kann sich damit schon brüsten? Ein bisschen Schwund ist eben immer.«
Und das, wusste Simon, meinte er todernst. Godric und Wulfric seien härter als der Stahl ihrer Klingen, hatte Henry einmal voller Bewunderung behauptet, und das war nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Richard würde feststellen, dass es nicht so leicht war, sie kleinzukriegen.
»Schluss mit dem Blödsinn.« Richards Kettenhandschuh landete auf Simons Hinterkopf. »Wohin führt dieser Tunnel im Fluss?«
»Ins Speicherhaus im unteren Burghof«, antwortete Simon bereitwillig.
»Kann man ihn durchschwimmen?«
»Wenn man verrückt genug ist.«
»Und der Ausstieg? Ist er bewacht?«
»Ja. Und seit heute vermutlich verriegelt.«
Richard grunzte missfällig. Er hatte wohl auf einen leichten Weg hinein gehofft. »Was macht Brian fitzCount?«
Nicht viel, dachte Simon. Er liegt in einem Grab hinter der Kapelle im Burghof … »Ich verstehe die Frage nicht.«
Wieder ein Schlag auf den Kopf, fast spielerisch. »Geht es ihm gut? Ist er gesund?«
»Wie rührend du um die Garnison von Wallingford besorgt bist, Cousin. Natürlich geht es ihm gut. Wieso denn nicht?«
»Es gab ein Gerücht, er sei gestorben.«
Simon schnalzte missfällig. »Gerüchte …«
»Wie groß ist die Garnison?«
»Zweiundvierzig Ritter, rund zehn Dutzend Soldaten, ein paar Frauen.« Das sagte er, weil Philippa und ihre Gefährtinnen vermutlich auf der Brustwehr gesehen worden waren, und Simon war ein Meister der Kunst, Lügen in Wahrheiten zu
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