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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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verstecken. Das schien ihm auch dieses Mal geglückt zu sein. Richard zog die Zahlen, die er genannt hatte, nicht in Zweifel.
    Stattdessen sah er zu der belagerten Burg im Mondschein hinüber und rieb sich versonnen das linke Ohr. Aber was immer ihm durch den Kopf ging, behielt er für sich, und schließlich befahl er seinen Männern: »Schafft sie hinüber in die Festung und legt sie in Ketten.«
    Crowmarsh Castle, das Wallingford gegenüber am anderen Themseufer errichtet worden war, hatte keinen steinernen Turm. Nach alter normannischer Bauart war ein hölzerner Donjon auf einem angeschütteten Hügel errichtet und mit einem Palisadenzaun und Graben umgeben worden. Der Graben war nicht bewässert, und das Tor hatte nicht einmal ein Fallgitter. Keine sehr trutzige Festung, stellte Simon fest, als er bei Tagesanbruch aus dem Fenster der Kammer schaute, wo man sie eingesperrt hatte, aber die Stärke der Garnison machte ihm Angst. Hier lagen zehnmal so viele Männer wie drüben in Wallingford, schätzte er.
    »Junge, Junge, ich hab vielleicht Kohldampf …«, brummte Wulfric.
    Als Simon sich umwandte, klirrten die Handketten. »Ich schlage vor, du gewöhnst dich daran.«
    Wulfric bedachte ihn mit einem Lächeln und einer obszönen Geste. Sein Bruder nahm den Stumpf seines Fingers aus dem Mund, an dem er gelutscht hatte, und betrachtete die Wunde eingehend. »Hat fast aufgehört zu bluten«, verkündete er zufrieden.
    Sie befanden sich in einer kleinen unmöblierten Kammer im Obergeschoss des Donjons. Es gab nicht einmal Bodenstroh. Simon setzte sich auf die nackten Holzdielen, lehnte den Rücken gegen die Wand und schloss die Augen. Er war müde wie selten zuvor in seinem Leben, und er war ratlos. »Wie haben sie euch geschnappt?«, fragte er, ohne die Lider zu öffnen.
    »Ich schätze, sie haben uns gesehen«, antwortete Godric seufzend. »Die Nacht war einfach zu hell. Wir haben noch überlegt, ob wir in Deckung bleiben und auf schlechteres Wetter hoffen sollen, aber dann haben wir uns dagegen entschieden.«
    »War ein Fehler«, räumte sein Bruder ein. »Wir dachten, die Wachfeuer sind so weit weg, was soll’s, das Risiko ist überschaubar. Aber vermutlich haben sie uns von hier aus entdeckt. Es tut mir leid, Simon. Wir haben dich in die Scheiße geritten.«
    Simon winkte ab. »Wir haben alle gewusst, dass das hier passieren könnte. Jetzt ist es eben passiert. Euch trifft keine Schuld. Mein Cousin ist ein ziemliches Raubein, keine Frage, aber ich glaube nicht, dass er uns aufhängt. Im Grunde ist er harmlos …«
    »Der kleine Earl Richard ist auch nicht das Problem«, unterbrach Wulfric. »Das Schlimmste weißt du ja noch gar nicht.«
    »Und zwar?«
    Ehe die Zwillinge antworten konnten, erklangen draußen schwere Schritte, ein Riegel rasselte, und die Tür flog auf. Zwei Ritter in Begleitung von vier Wachen traten über die Schwelle. Den langen, dünnen mit der Adlernase hatte Simon noch nie im Leben gesehen, aber er ahnte, um wen es sich handelte. Bei dem Untersetzten musste er nicht raten: Es war Haimon.
    »Jetzt weißt du, was ich meinte«, murmelte Wulfric.
    Simon kam scheinbar mühelos auf die Füße – ohne die gefesselten Hände zu Hilfe zu nehmen, so wie er es vor so langer Zeit von Alan gelernt hatte. »Sieh an, Haimon de Ponthieu.«
    Sein sparsames Lächeln zeigte nichts als verhaltene Überheblichkeit. Niemand hätte ahnen können, dass Furcht seine Beine hinaufkroch und sich wie ein Stück glühender Holzkohle in seinem Magen einnistete. Genugtuung strahlte in Haimons dunklen Augen, und Simon wusste, dass er selbst und die Zwillinge jetzt den Preis für das bezahlen würden, was sie Haimon angetan hatten. Aber mehr als vor Haimons Rache fürchtete Simon sich vor der berechnenden Grausamkeit in den Augen des anderen Mannes.
    Er verneigte sich sparsam. »Eustache de Boulogne, nehme ich an? Eine Ehre, Monseigneur.«
    »Woher wisst Ihr, wer ich bin?«, fragte der Kronprinz.
    »Ich kenne Euren Vater. Ihr seht ihm ähnlich.«
    »Ihr erinnert Euch an sein Gesicht, obwohl Ihr Euch auf die Seite seines Feindes geschlagen habt? Wie sonderbar.« Das gut aussehende, kantige Gesicht blieb unbewegt. Das einzig Vorzeigbare, was Eustache de Boulogne besitzt, sind seine Qualitäten als Soldat , hatte Kaiserin Maud einmal zu Simon gesagt. Und der Kronprinz hatte tatsächlich die Statur, die Geschmeidigkeit und den scharfen Blick eines erfahrenen Kämpfers. Über alles andere breitet man besser den Mantel des

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