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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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wirklich, es stört sie? Meinst du, Frauen sind so hohlköpfig und oberflächlich, dass sie einen großartigen Mann nicht zu schätzen wissen, nur weil er ein albernes kleines Gebrechen hat?«
    Simon zog sich den Bliaut über den Kopf und ging zur Tür. »Irgendwer muss die Verteidigung von Wallingford befehligen, Lady Philippa. Soll ich es tun, oder willst du vielleicht doch aufstehen?«
    In der zweiten und dritten Nacht schickten die Zwillinge nur Säcke mit Linsen und Mehl herüber, wie Simon mit ihnen besprochen hatte, denn damit hätte man notfalls das Überleben der kleinen Garnison über den Winter gewährleisten können. Simon befestigte die leeren Ledersäcke aus der vorherigen Nacht am Haken und schickte sie zurück, damit seine Freunde sie im Laufe des nächsten Tages mit weiteren Vorräten befüllen und sorgsam wieder zunähen konnten. Bis auf einen Mehlsack war bislang alles trocken in Wallingford angekommen, denn der Cellarius des Klosters hatte die kluge Idee gehabt, je zwei Säcke übereinander zu verwenden, um dem Risiko der Undichtigkeit zu begegnen, und das geschlossene Ende des äußeren Sacks über das zugenähte des inneren zu stülpen.
    Das Gelingen seines Plans erfüllte Simon mit Befriedigung, und die Nachtstunden unten im Keller des Speicherhauses waren ihm die liebsten. Meist schweigend arbeitete er Hand in Hand mit Miles Beaumont oder einem der anderen Ritter, und die Männer, die das einströmende Wasser schöpften, ließen ihn zufrieden, nachdem sie gemerkt hatten, dass ihre ewig gleichen Dankesbekundungen ihm auf die Nerven gingen. Wenn sie mit der Arbeit für die Nacht fertig waren, ging er mit den anderen zum Bergfried hinauf und legte sich auf seinen Schlafplatz in der Halle. Philippas Kammer hatte er nicht mehr betreten.
    Sie gab vor, das gar nicht zu bemerken. Womöglich war das sogar der Fall, denn die Verstärkung der Belagerungstruppen hatte die täglichen Angriffe in solchem Ausmaß verschärft, dass die Verteidigung ihrer Burg gewiss all ihre Gedanken und Kräfte in Anspruch nahm. Vielleicht besser so, dachte Simon, aber die Erleichterung, die er eigentlich hätte empfinden müssen, wollte sich nicht einstellen. Er musste oft an Alan und Miriam denken in den Nächten, wenn er müde bis in die Knochen und doch schlaflos in der Halle lag und dem Rascheln und Fiepen der Ratten im Stroh lauschte. Er wusste, Alan hatte für seine Ehe einen hohen Preis bezahlt, aber er wusste auch, dass Thomas Becket sich irrte, wenn er sagte, Alan sei verbittert über sein Los. Unzufrieden vielleicht. Wütend, ja, bestimmt. Aber nicht verbittert. Denn Alan hatte bekommen, was er wollte. In schwachen Stunden hatte Simon ihn dafür manchmal so beneidet, dass er sich selbst kaum mehr ertragen konnte. Doch es war so verflucht schwer, keinen Neid zu empfinden, denn Alan hatte, was Simon niemals besitzen konnte: die Liebe einer Gemahlin und die Freuden eines Familienlebens. Sicher nicht immer ungetrübt, aber das spielte keine Rolle. Es war eine Art von Geborgenheit, die Simon niemals haben konnte. Selbst Godric und Wulfric hatten sie gefunden. Und jetzt auch noch Miles Beaumont. Sie alle brachten fertig, was Simon einfach unmöglich war: Sie hatten genug Achtung vor sich selbst, um zu glauben, ein Zusammenleben mit ihnen sei zumutbar.
    In der sechsten Nacht barg er noch einmal drei Säcke mit Linsen, dann die ersten vier mit Dörrfleisch, doch als der Haken zum achten Mal in der Falltür erschien, hing kein Sack daran. Auch kein Tuchfetzen mit einem Kreuz darauf.
    »Was ist das?« Miles, der einen Sack Dörrfleisch nach oben getragen hatte, war wieder in den Keller gekommen und trat mit einer Fackel in der Linken näher.
    »Ich weiß nicht.« Simon fischte den Haken aus dem Wasser. Ein sehr viel kleinerer Lederbeutel baumelte daran. Er war durchnässt und zusammengewickelt, aber Simon erkannte ihn trotzdem auf den ersten Blick, hatte er ihn in den vergangenen fünf Jahren doch jeden Tag gesehen. »Oh mein Gott …« Mit einem Mal hatte er Mühe zu atmen, und die Härchen in seinem Nacken hatten sich aufgerichtet.
    »Simon?« Miles nahm ihm den Beutel aus den kraftlosen Fingern und rollte ihn auseinander. Er schnürte ihn auf, drehte ihn um, und etwas glitt in seine Hand. Mit einem zischenden Fluch zuckte Miles zurück, und der Inhalt des Beutels fiel ins knöcheltiefe Wasser. Simon schloss die Hand darum, ehe er in der trüben Brühe am Kellerboden versinken konnte. Dann kniff er die Lider zu und blieb

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