Hiobs Brüder
Rabauken zur Ordnung. »Wir haben uns nicht um das Brot geschlagen, als wir kaum noch welches hatten, also werden wir jetzt nicht damit anfangen, hast du mich verstanden, William?«
Der Gescholtene nickte, aber seine Miene war rebellisch, und er beäugte seinen kleineren Kameraden, der noch ein Stück Honigbrot in der Hand hielt, voller Neid.
Simon trat an den Tisch, tunkte ein weiteres Stück Brot in den Honigtopf und hielt es ihm hin. »Hier, William. Der Winter wird immer noch hart, aber wenigstens heute Nacht soll in Wallingford einmal jeder satt werden.«
Das selige Lächeln auf dem Gesicht des Knaben war ein Anblick, der Simon einen Moment unkomplizierter Freude bescherte. Und das Strahlen in Philippas Bernsteinaugen, als sie zu ihm trat, wäre es beinah wert gewesen, den verdammten Tunnel noch ein drittes Mal zu durchschwimmen.
»Hast du das gemeint, als du sagtest, ich solle auf Henry Plantagenet vertrauen? Er werde uns Hilfe schicken?«, fragte sie, das Kinn auf seine Schulter gestützt. Ein ziemlich spitzes Kinn, stellte Simon grinsend fest, richtete sich auf einen Ellbogen auf, drehte sie um und legte sich auf sie. Heute Nacht hatte sie ihm erlaubt, ihr die Kleider auszuziehen. Sie hatte auch nicht gewartet, bis wieder Stille in der Halle herrschte, ehe sie Simon zu ihrer Kammer geführt hatte. Philippa war zu berauscht vom lang entbehrten Wein, vor allem von der unerwarteten Überlebenschance, um sich heute Nacht um Sitte und Anstand zu scheren.
»Gib Antwort«, verlangte sie und zog ihn sacht an den dunklen, schulterlangen Haaren, während er in sie hineinglitt.
»Nun, das hat er doch, oder nicht?«, gab er zurück, strich ihr mit beiden Händen die Haare zurück und drückte die Lippen auf ihre. Auch er war berauscht – von dem Erfolg seines Plans, vor allem jedoch von dieser Frau. Sie wölbte sich ihm entgegen und nahm ihn gierig in sich auf, aber ihre Lust erschien ihm vollkommen natürlich und eigentümlich rein. Es war das Leben selbst, dem sie hier huldigten, wusste Simon, und das konnte nicht sündig sein.
Auch nachdem sie ihr Verlangen nacheinander gestillt hatten, fanden sie keinen Schlaf. Eng aneinandergeschmiegt lagen sie in ihrem Bett, und als die Nacht vor der schmalen Scharte sich perlgrau verfärbte, fragte Philippa: »Ist es immer so? Mit Mann und Frau, meine ich?«
»Nein. Das hier ist etwas Besonderes.«
»Hätte ich gewusst, dass es so etwas gibt, wäre ich aus Wallingford geflohen, als noch Zeit war, statt mein Leben wegzuwerfen.«
»Sag das nicht. Das hättest du dir nie verziehen, und Reue kann einem das Leben verdammt bitter machen.«
»Sprichst du aus Erfahrung?«
Er antwortete nicht.
Sie drehte sich auf die Seite und schaute ihn an. »Was hast du getan, das du so bitter bereuen musst, dass immer Traurigkeit in deinen Augen ist?«
Er lächelte. »Es ist nichts, was ich getan habe, sondern das, was Gott mir mitgegeben hat. Das mich hindert, ein normaler Mann zu sein, eine wundervolle Frau wie dich heiraten zu können … All diese Dinge. Es ist nicht immer ganz einfach, auf all das zu verzichten. Aber du bist wirklich der letzte Mensch, dem ich etwas über Verzicht vorjammern sollte, nicht wahr.« Er richtete es auf und schwang die Beine über die Bettkante. »Es wird bald Tag.«
Sie legte von hinten die Hände auf seine Schultern. »Du meinst, du kannst nicht heiraten, weil du die Fallsucht hast? Was ist das für ein Unsinn?«
Er machte sich los, stand auf und zog sich an, ohne Philippa noch einmal anzusehen. »Lass uns nicht jetzt darüber sprechen«, bat er.
»Warum nur …« Sie lachte eine Spur verlegen. »Oh, Simon, denk nicht, ich wolle dir einen Antrag machen – du musst mich auch so schon für schamlos genug halten. Aber wie kommst du darauf, dass eine Nebensächlichkeit wie solch ein Gebrechen so große Macht über dein Leben haben könnte?«
Er fuhr zu ihr herum. »Du hast keine Ahnung, wovon du redest!«
»Ich weiß sehr genau, wovon ich rede«, entgegnete sie ebenso scharf. »Miles Beaumont hat die Fallsucht.«
»Was ?«
»Das wusstest du nicht? Nun, er läuft auch lieber mit nackten Füßen über glühende Kohlen, als darüber zu reden, aber seit einer Kopfverletzung vor zwei Jahren fällt er hin und wieder in Krampfanfälle, hat Schaum vor dem Mund und so weiter.«
»Und ich wette, er käme im Traum nicht darauf, das einer Gemahlin zuzumuten.«
»Lady Katherine ist seine Gemahlin«, gab sie zurück. Mit einem Mal klang sie müde. »Glaubst du
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