Hiobs Brüder
deine Unabhängigkeit dir kostbarer ist als alles andere auf der Welt und du dir und deinen Bewunderern beweisen musst, dass du es immer noch kannst, immer noch am besten alles allein vollbringst. Dafür gehst du unverantwortliche Risiken ein und nimmst nicht die geringste Rücksicht auf die Menschen, die zurückbleiben und um dich trauern müssen, solltest du wieder verschwinden. Dieses Mal vermutlich endgültig.«
Alan fühlte ein sengendes Prickeln in den Fingerspitzen, so sehr verlangte ihn danach, die Faust zu ballen und Simon das Maul zu stopfen. So wie der verlorene Mann ohne Gedächtnis es getan hatte an dem eisigen Wintermorgen nach der Sturmnacht auf der Isle of Whitholm, als Simon de Clare ihm zum ersten Mal ein paar unangenehme Wahrheiten gesagt hatte. Aber heute gelang es Alan, sich zu beherrschen. Er beschränkte sich darauf, Simon einen vernichtenden Blick entgegenzuschleudern, dann ging er wortlos zurück zu King Edmund und setzte sich neben ihn auf die Bank.
Den Kopf gesenkt, die Hände auf die Knie gestützt, dachte er nach. Simons Vorwürfe hatten verdächtige Ähnlichkeit mit dem, den sein Onkel Gloucester ihm einst gemacht hatte. Wenn du das je wieder tust, wirst du aus meinen Diensten scheiden müssen. Ich habe nichts unversucht gelassen, dich zur Vernunft zu bringen. Aber du bist wie besessen.
War er das wirklich immer noch? Besessen von der Idee, den Krieg eigenhändig gewinnen zu müssen, weil er seinen jungen Vater mit seiner bevorstehenden Geburt in ein feuchtes Grab gelockt hatte?
Was für ein Irrsinn. Hatte er nicht längst begriffen, dass nichts von dem, was passiert war, seine Schuld war? Wie kam es dann nur, dass er immer wieder in die gleiche Falle zu tappen drohte? Statt endlich das zu tun, was er Robert of Gloucester auf dem Sterbebett versprochen hatte.
Alan wandte den Kopf ein klein wenig und stellte fest, dass King Edmund ihn belauerte.
»Was?«, fragte Alan unwirsch.
»Er hat recht, mein Sohn.«
»Du hast doch gar nicht verstanden, was er gesagt hat.«
»Nicht die Worte, aber den Sinn. Er hat recht, und das weißt du selbst am allerbesten.«
Alan nickte unwillig, stand auf und kehrte zu Simon zurück. »Also schön. Dann sag mir, was ich deiner Meinung nach tun soll. Wenn ich dich mitnehme, werden die Zwillinge nicht zurückbleiben wollen. Aber sie können nicht reiten und werden uns aufhalten. Wie werden sie sich fühlen, wenn wir ihretwegen zu spät kommen?«
Simon schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht mitkommen. Ich will Eustache nicht wiedersehen, denn ganz gleich, was er getan hat, er ist König Stephens Sohn, und diese Tatsache bindet mir die Hände, immer noch. Ich habe getan, was du nicht konntest, und Rache an Haimon genommen. Das ist genug. Jetzt tu du das, was ich nicht tun kann. Nimm deine Cousins Athelstan und Ælfric mit und Bedwyn und die übrigen Männer aus Blackmore.«
Alan nickte, und sie umarmten sich kurz.
»Geh mit Gott, Alan«, murmelte Simon.
»Dafür sorge ich schon«, versicherte King Edmund ungeduldig. »Jetzt lasst uns endlich aufbrechen.«
East Anglia, August 1153
Es war alles andere als schwierig, Eustaches Spur in East Anglia zu folgen, denn er hatte eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Alan und seine rund zwei Dutzend Begleiter kamen durch niedergebrannte, ausgeplünderte Dörfer. Sie wirkten verlassen, so als wären alle Bewohner erschlagen oder davongelaufen, aber wenn King Edmund sich an den Dorfbrunnen stellte und mit tragender Stimme rief, er sei der Märtyrerkönig, der einst über dieses Land geherrscht habe, und nun wiedergekehrt, um seine Wunden zu heilen, kamen hinter verbrannten Hecken und aus verkohlten Ruinen Menschen hervor. Langsam und matt, so als stünden sie noch unter Schock. Sie betrachteten Alan und seine Soldaten mit starren, leeren Blicken, aber King Edmund gelang es immer, ihr Vertrauen zu wecken, und flüsternd erzählten sie ihm von den Gräueltaten, die Eustache und die Seinen begangen hatten: Sie mordeten und schändeten und verbrannten die Ernte in den Scheunen und auf den Feldern.
Warum er das tue, wenn er wirklich der Sohn des Königs sei, hatte ein mutiger Dorfpfarrer, der des Normannischen mächtig war, ihn gefragt.
Weil der König die Krone an einen anderen verschenkt habe, und dem wolle er nichts als verbrannte Erde hinterlassen, hatte Eustache geantwortet, ehe er dem Pfarrer den Schädel spaltete.
Alan lauschte den immer gleichen Geschichten, blickte in die immer gleichen leblosen
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