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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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gehabt, als er behauptet hatte, er sei Losians dunkles Spiegelbild. Es war ein abscheulicher Gedanke. Losian wechselte lieber das Thema. »Wie ist es euch ergangen?«
    »Was glaubst du wohl?«, entgegnete Godric mit einem breiten Grinsen. »Wir schlafen warm und trocken und werden regelmäßig gefüttert. Schön, wir sind wieder eingesperrt so wie früher, aber es ist doch sehr viel erträglicher.«
    »Eingesperrt?«, wiederholte Losian argwöhnisch. »Was heißt das?«
    »Ich habe Eure Freunde gebeten, das Haus nicht zu verlassen«, erklärte Josua, der offenbar mehr Englisch verstand, als er sprach. »Es ging nicht anders.«
    Losian schaute zu ihm hoch. »Was hat das zu bedeuten?«
    Die Zwillinge standen auf. »Wir wollen ein bisschen Holz hacken, Losian. Bis später«, sagte Wulfric. »Komm mit, Grendel.«
    Den Hund im Schlepptau schlenderten sie gemächlich davon, blieben in einem Klecks Sonnenlicht stehen, steckten die Köpfe zusammen, redeten und lachten, ehe sie durch einen kleinen Torbogen in der Gartenmauer in den vorderen Hof verschwanden.
    Josua nahm ihren Platz auf der Bank ein. »Sie sind zu beneiden. Ich kenne kaum einen Menschen, der so ausgeglichen und zufrieden ist wie diese beiden. Dabei haben sie alles verloren, wie Simon mir erzählte. Und sind niemals auch nur für einen winzigen Moment allein. Wie machen sie das nur?« Es klang beinah fassungslos.
    »Ich weiß es nicht«, gestand Losian. »Ich kenne sie jetzt seit beinah drei Jahren, aber ich habe ihr Geheimnis noch nicht ergründet. Die Quelle ihrer Ausgeglichenheit ist ihre Anspruchslosigkeit. Ihre Gabe, alles im Leben so anzunehmen, wie es kommt. Aber wieso sie diese Weisheit besitzen oder wie man sie erlernt, habe ich noch nicht herausfinden können.«
    Josua betrachtete ihn einen Moment, legte dann den Kopf zurück und blinzelte in die Frühlingssonne. »Ich könnte sie operieren, wisst Ihr. Sie trennen, meine ich. Dergleichen ist schon gelungen, ich habe davon gehört und darüber gelesen. Ich habe sie mir angesehen; sie waren sehr geduldig. Es ist keine große Fläche, an der sie zusammengewachsen sind.«
    »Wie stünden die Chancen?«, fragte Losian.
    »Schwer zu sagen. Einer könnte sterben. Natürlich könnten auch beide sterben. Bei einer Operation gibt es keine Gewissheiten, niemals. Aber sie könnten auch beide überleben. Was denkt Ihr? Soll ich es ihnen vorschlagen?«
    Losian musste nicht lange überlegen. »Auf jeden Fall. Das können nur Godric und Wulfric entscheiden.«
    Josua nickte versonnen. »Und wie steht es mit Euch? Ist der Traum wiedergekommen?«
    »Seit Ihr Euer Teufelszeug nicht mehr in mich hineinschüttet, nicht.«
    »Hm. Ihr erholt Euch gut. Ihr seid dürr und geschwächt, aber Ihr verkraftet die Verwundung und den Blutverlust besser, als ich es je erlebt habe.«
    »Das muss an der guten Pflege liegen.«
    »Nein. Es liegt daran, dass Euer Körper daran gewöhnt ist. Er erinnert sich an Dinge, die Ihr vergessen habt. Ihr wart Soldat. Und oft verwundet, das kann ich sehen. Der menschliche Körper ist ein ewiges Geheimnis. Voller Überraschungen. Enorm anpassungsfähig, zum Beispiel. Der Eure ist daran gewöhnt, Verwundungen zu verkraften.«
    Losian sann darüber nach. Womöglich war es so, erkannte er. Der Schmerz, die Schwäche, das Fieber – sie hatten ihm zu schaffen gemacht, aber ihm ging auf, dass sie alle keine Fremden waren. Er konnte sie erdulden wie unliebsamen, aber vertrauten Besuch. Mit Ergebenheit und einem gewissen Maß an Routine.
    »Warum untersagt Ihr meinen Freunden, das Haus zu verlassen?«, fragte er. Es war etwas, das ihn beunruhigte.
    »Ich würde keinem Gast in meinem Haus etwas untersagen, Losian. Das verstößt gegen unsere Auffassung von Gastfreundschaft. Ich habe sie lediglich darum gebeten, zumindest bei Tageslicht das Haus nicht zu verlassen. Es ist eine traurige Notwendigkeit. Zwischen den Juden und Christen von Norwich steht es nicht zum Besten. Sowohl Euer Bischof als auch unser Rabbiner verbieten, dass sie mehr als den notwendigen Kontakt pflegen, und wir dürfen eigentlich keine Christen bei uns beherbergen.«
    »Warum nicht?«
    Josua erhob sich. »Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie Euch unter der Bedingung, dass Ihr sie im Liegen hört. Kommt. Ich will mir die Wunde ansehen.«
    Losian stand auf, und als Josua seinen Arm nahm, war sein erster Impuls, sich loszureißen. Aber er beherrschte sich. Weil er nicht unhöflich sein wollte, vor allem aber, weil er merkte, dass

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