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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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schließlich getötet. Niemand weiß so recht, wo es herkam, dieses Gerücht. Aber es verbreitete sich wie ein Feuer im Schilf. Einige Männer rotteten sich zusammen, und ein Priester führte sie ins Judenviertel, um Rache zu nehmen. Wenn der Sheriff nicht eingeschritten wäre, hätte es ein Blutbad gegeben.« Er brach ab, entfernte den letzten Faden mit einem kleinen Ruck und stand auf, um einen irdenen Topf mit Salbe vom nahen Tisch zu holen. »Seither sind die Dinge schwierig«, fuhr er fort, als er sich wieder setzte. »Der neue Bischof von Norwich berichtet beinah täglich von Wundern, die an Williams Grab geschehen sein sollen. Pilger kommen in die Stadt, um das Grab zu besuchen. Inzwischen aus ganz East Anglia, hört man. Sie bringen viel Geld, das der Bischof gut gebrauchen kann, denn der Bau seiner riesigen neuen Kirche hat Unsummen verschlungen. Er hat den Papst aufgefordert, den Jungen heiligzusprechen. Als Märtyrer, versteht Ihr.«
    Losian richtete sich auf und schob Josuas Hand weg, die Salbe auf die beinah verheilte Wunde streichen wollte. »Augenblick. Ihr bezichtigt einen Bischof der Heiligen Kirche, aus Habgier Lügen über euch zu verbreiten und die Menschen gegen euch aufzubringen? Ist es das, was Ihr mir zu erklären versucht?«
    Josua sah ihm in die Augen. »Ich bezichtige Euren Bischof nicht. Ich schildere lediglich, was sich zugetragen hat. Womöglich glaubt Turba – das ist der Bischof von Norwich – wirklich, dass der junge William ein Märtyrer ist und wir Juden ihn getötet haben. Aber es ist nun einmal nicht wahr. Wahr hingegen ist, dass er nur dann einen Märtyrer und Heiligen aus William machen kann, wenn er die Menschen von Norwich und die Pilger, die herkommen, und den Papst in Rom glauben macht, dass wir den Jungen getötet haben. Ich behaupte nicht, dass er uns böswillig verleumdet. Aber es dient seinen Interessen, die Schuld bei uns zu suchen, und er wäre nicht der erste Mann, dessen Überzeugung von seinen Interessen geleitet wird. Das ist nur menschlich, mein normannischer Freund.«
    Losian wandte den Kopf ab und dachte eine Weile nach. Er war verwirrt und unsicher, was er glauben sollte. Josua ben Isaac hatte ihm und seinen Gefährten eine Freundlichkeit und Großzügigkeit entgegengebracht, die ihresgleichen suchte. Bis vor einer Viertelstunde hätte Losian ihn einen ehrbaren und grundanständigen Mann genannt. Aber eine Stimme in seinem Innern warnte ihn, dass kein ehrbarer und anständiger Mann jemals solche Dinge über einen Bischof sagen würde.
    »Haltet Ihr mich für einen Lügner, Losian?«
    Losian blickte ihn wieder an. »Nein.«
    »Für einen Mörder?«
    »Natürlich nicht.«
    »Aber Ihr denkt, dass ich ein Ungläubiger bin, also in irgendeiner Weise unrecht haben muss, sozusagen von Geburt an, Euer Bischof aber recht, weil er die Kirche des einzig wahren Gottes vertritt? Das müsst Ihr glauben, nicht wahr, weil der Krieg, in den Ihr für diesen Glauben gezogen seid, andernfalls unsinnig wäre.«
    Losian wurde ganz heiß von diesen ketzerischen Worten. Er stützte einen Moment die Stirn in die Hand und schüttelte dann den Kopf. »Ihr habt recht. Und wie könnte ich aufhören, diese Dinge zu glauben, sind sie doch das Einzige, was von mir übrig ist? Von dem Mann, der ich einmal war.«
    »Das solltet Ihr Euch nicht einreden. Es ist weit mehr übrig als das. Ihr seid immer noch derselbe Mann, der Ihr immer wart, auch wenn Ihr seinen Namen und seine Geschichte vergessen habt.«
    »Weil ich besessen bin«, sagte Losian tonlos. »Und wenn das stimmt, wie kann ich dann wissen, wer mein Tun bestimmt? Der Mann, der ich einmal war, oder der Dämon, der die Erinnerungen dieses Mannes auffrisst?«
    »Ihr seid nicht besessen, Losian.«
    »Woher wollt Ihr das wissen?«
    »Weil die Symptome nicht dafür sprechen.«
    »Und doch haben die Mönche es gesagt. Sie waren grausam und ohne Mitgefühl, wie King Edmund immer betont, aber das ändert nichts daran, dass ihr Abt ein gerühmter Heiler ist. Wieso sollte ich Euch mehr Glauben schenken als ihm? Wieso soll ich nicht annehmen, dass Ihr sein Urteil in Zweifel ziehen wollt, um gleichzeitig auch das des Bischofs von Norwich fragwürdig erscheinen zu lassen?«
    »Du meine Güte. Auf welch verschlungenen Pfaden Ihr denkt«, verwunderte sich Josua. »Dann sagt mir dies: Der Abt hat auch behauptet, Simon sei besessen. Glaubt Ihr das?«
    »Nein«, musste Losian einräumen. »Er hat die Fallsucht, das ist alles.«
    »So ist es. Sie ist

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