Hiobs Brüder
geführt. Am Ende musste er sich geschlagen geben.«
»Einen Disput? In welcher Sprache?«
»Auf Lateinisch, natürlich.«
»Natürlich … Nun, wenn er sich Euch geschlagen geben musste, dann seid Ihr in der Tat ein gelehrter Mann. Ich hätte gedacht, dass niemand so viel über Gott und sein Wort weiß wie King Edmund … Euer verdammtes heidnisches Zeug wirkt nicht.«
»Oh, es wirkt. Das beweist allein die Tatsache, dass Ihr flucht. Ich hörte, das komme höchst selten vor.«
»Weil King Edmund über jeden herfällt, der es tut …«
»Nein, sondern weil Ihr zu beherrscht und vornehm dafür seid. Aber mein ›verdammtes heidnisches Zeug‹ enthemmt. Auch deswegen habe ich es Euch gegeben.«
»Dann fahrt zur Hölle.«
Josua tupfte ihm den Schweiß von der Stirn. »Das fürchtet Ihr am meisten, nicht wahr? Die Kontrolle zu verlieren. Darum müsst Ihr alles und jeden in Eurer Umgebung kontrollieren. Ein Glück für Eure Gefährten, will mir scheinen. Ihr habt ihr Leben sehr viel besser gemacht auf der kargen, trostlosen Insel, wo man Euch gefangen hielt. Und ohne Euch wären vermutlich alle ertrunken.«
»Das Unglück mit meinen Gefährten ist, dass sie alle zu viel schwafeln. Und sie …«
»Schsch. Ihr dürft Euch nicht erregen, dafür seid Ihr zu geschwächt.«
Losian wusste, dass das stimmte. Er schloss die Augen. »Was ist mit Simon? Könnt Ihr ihn heilen?«
»Nein«, antwortete Josua bedauernd. »Ich fürchte, ich kann nichts für ihn tun. Aber die Fallsucht ist keine so schreckliche Krankheit. Sie wird mit den Jahren nicht schlimmer – bei manchen sogar besser –, und niemand stirbt daran. Es hat ihn getröstet, das zu erfahren. Ich denke, er wird lernen, damit zu leben.«
Das Zeug wirkte doch, stellte Losian fest. Der Schmerz verging nicht, aber er schien betäubt. Erst als seine Glieder sich entspannten, merkte Losian, wie verkrampft er gewesen war. »Und Regy?«
»Ich schlage vor, über ihn reden wir morgen. Seid unbesorgt. Er wird sicher verwahrt. Die wackeren Zwillinge können sich nicht verzeihen, dass sie es an Sorgfalt haben mangeln lassen, und nun betrachten sie es als ihre Pflicht, dafür zu sorgen, dass es nicht wieder passiert.«
»Es wird wieder passieren. Früher oder später. Eine solche Kreatur kann man auf Dauer nicht bändigen. Wulfric hatte recht. Ich hätte ihn auf der Insel lassen sollen.«
Eine Hand legte sich sacht auf seine Schulter. »Er hatte nicht recht. Ihr habt das Richtige getan. Und nun schlaft.«
Losians Lider waren bleischwer. Er versuchte erst gar nicht, sie noch einmal zu öffnen. »Wenn nur der verdammte Traum nicht wäre.«
»Dann jagt ihn fort.«
»Ich kann nicht. Er ist die einzige Erinnerung, die ich habe.«
»Das bezweifle ich. Es gibt andere, wir müssen sie nur suchen. Und Euer Traum ist ein Irrbild, keine Erinnerung.«
»Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte Losian schläfrig.
»Weil Akkon nicht in der Wüste liegt.«
Josua ben Isaac und sein Bruder Ruben waren vor zwölf Jahren mit einer ganzen Schar weiterer Juden aus Winchester nach Norwich gekommen und hatten sich in dem Stadtviertel, welches der Sheriff ihnen im Auftrag des Königs gleich am Fuße der Burg zugewiesen hatte, ein Haus nach den Gepflogenheiten ihres Volkes gebaut. Es war groß genug, um die Familie, Rubens Tuch- und Gewürzlager und Josuas Vorrats- und Behandlungsräume zu beherbergen, und es war in einem Karree gebaut, das einen Garten umschloss.
Losian blieb an der Tür ins Freie stehen und schaute sich staunend um. So etwas wie diesen Garten hatte er noch nie gesehen – jedenfalls glaubte er das. Eine Rasenfläche in der Mitte, mit Narzissen und Hyazinthen betupft, war von Beeten gesäumt, wo alle möglichen Pflanzen – vermutlich Heil- und Küchenkräuter – in ordentlichen Reihen oder als niedrige Büsche wuchsen. Die Aprilsonne war zum Vorschein gekommen, und der Garten war windgeschützt. Ein herrlicher Duft nach Gras und Frühlingssäften erfüllte die Luft.
Losian hatte die Hand um den Türpfosten gelegt, denn ihm war schwindelig. Er war nur bis hierher gelangt, indem er sich wie ein Trunkenbold an der Wand entlanggetastet hatte. Doch das Sonnenlicht und die Düfte zogen ihn unwiderstehlich an. Vielleicht zwanzig Schritte entfernt stand am Rand eines Beets mit sorgsam beschnittenen Beerensträuchern eine Holzbank. Zwanzig Schritte, überlegte er. Das sollte zu schaffen sein.
Zögernd ließ er den Türpfosten los und machte sich mit kleinen, nicht ganz sicheren
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