Hiobs Brüder
er ohne Hilfe nicht bis zu seinem Bett gelangen würde. Sie legten den kurzen Weg schweigend zurück, und als sie ankamen, war Losian schweißgebadet. Erleichtert ließ er sich in das himmlisch weiche Kissen sinken und schloss die Augen, bis das Rauschen in seinen Ohren abebbte.
»Schmerzen?«, fragte Josua sparsam.
»Kaum noch«, erwiderte Losian. »Ihr versteht Euch wahrlich auf Eure Kunst, Josua.«
Der nickte, als sei dieses Kompliment nur angemessen, schob das seltsame, jüdische Gewand hoch, in welchem Losian erwacht war und das vermutlich ebenso Josuas Ältestem gehörte wie diese Kammer, und nahm den Verband ab, der Losian geradezu lächerlich dick erschien.
»Hm.« Der Arzt brummte zufrieden. »Gutes Heilfleisch. Ich werde die Fäden jetzt entfernen, denke ich. Wenn sie zu lange im Fleisch bleiben, schaden sie mehr, als sie nützen, weil sie Entzündungen verursachen können.«
Losian hob den Kopf an, um selbst einen Blick auf das Malheur zu werfen. Als er sah, wie groß die Wunde gewesen war, nachdem Josua den Wundbrand herausgeschnitten hatte, wurde ihm flau, und er ließ den Kopf rasch wieder zurücksinken. »Ihr wolltet mir erklären, warum es Schwierigkeiten zwischen Juden und Christen in Norwich gibt.«
Josua zog sich einen Schemel heran, setzte sich und zückte ein sehr kleines Messer, mit dem er sich an die Arbeit machte. »Der erste König William hat die Juden aus der Normandie vor über siebzig Jahren eingeladen, sich in England niederzulassen, und seither stehen wir in diesem Land unter dem Schutz der Krone. Nicht weil die Könige uns so innig ins Herz geschlossen haben, sondern weil sie und ihre Lords sich gern Geld bei uns leihen.«
»Juden sind so reich, dass sie Geld verleihen können?«
»Manche schon. Und unsere Religion verbietet es nicht, Geld gegen Zins zu verleihen, anders als Eure.«
»Oh. Wucher.« Losian versuchte, jede Missbilligung aus seiner Stimme herauszuhalten, aber es gelang ihm nicht ganz.
»Sagt mir, mein junger Freund, wenn Ihr Wollhändler wäret, und Ihr würdet einen Sack Wolle für ein Pfund von einem Schafzüchter kaufen und für eineinhalb auf dem Wollmarkt von Norwich verkaufen, wäre das anstößig?«
»Natürlich nicht. Wäre ich Wollhändler, müsste ich mit diesem halben Pfund Differenz schließlich meinen Lebensunterhalt bestreiten … Was genau tut Ihr da eigentlich?« Es brannte und fühlte sich an wie Dutzende kleiner Nadelstiche.
»Ich verwende Seidenfäden zum Nähen von Wunden. Sie sind schön dünn. Aber nicht ganz glatt, darum verhaken sie sich gelegentlich, wenn man sie wieder herauszieht.«
»Gelegentlich«, murmelte Losian bissig. »Ihr wollt also sagen, Geldverleihen gegen Zins sei nicht anstößiger, als einen Sack Wolle mit Gewinn zu verkaufen?«
»Richtig. Und es wird ja auch niemand gezwungen, unser Geld zu leihen. Aber die Normannen und inzwischen auch viele angelsächsische Kaufleute machen gern davon Gebrauch. Die Bischöfe runzeln jedoch die Stirn darüber, und wenn die Schuldner merken, dass die Zinsen drücken, entwickeln manche plötzlich moralische Bedenken gegen das Geschäft des Geldverleihens und gegen Juden.«
Losian musste grinsen. »Das kann ich mir vorstellen.«
»Auch das ist ein Grund dafür, warum der König uns schützt und uns hier in Norwich und in anderen Städten Land in unmittelbarer Nähe der Burg gegeben hat. Und das ist ein Segen.« Er arbeitete einen Moment schweigend und mit konzentriert gerunzelter Stirn, ehe er fortfuhr: »Vor drei Jahren geschah ein Unglück. Ein junger Gerberlehrling wurde tot im Wald von Mousehold Heath aufgefunden, vor den Toren der Stadt. Sein Name war William.«
»Die Raufbolde, die Moses neulich abends auf der Straße aufgelauert haben, erwähnten einen William, den die Juden angeblich umgebracht hätten«, fiel Losian ein, und er zuckte leicht zusammen, als Josua einen besonders widerspenstigen Faden aus seinem Fleisch zog.
»Vergebt mir«, murmelte der Arzt zerstreut. »Ja, es war dieser Lehrjunge, den sie meinten. Er war ein netter Bursche. Kam häufig ins Judenviertel, um für seinen Meister Ware auszuliefern, manchmal auch zu uns. Dann, wie gesagt, starb er plötzlich. Ich habe seinen Leichnam gesehen, und ich wäre bereit zu beschwören, dass es eine Pilzvergiftung war, die ihn umgebracht hat. Aber … Nun ja. In der Stadt kam ein Gerücht auf, wir Juden hätten ihn entführt und irgendeinem grauenvollen Ritual unterzogen, sein Blut getrunken oder was weiß ich, und ihn
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