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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Schritten auf den Weg. Er hatte sein Ziel beinah erreicht, als Miriams Stimme hinter seiner linken Schulter sagte: »Ich glaube nicht, dass das eine sehr kluge Idee ist.«
    Losian fuhr erschrocken herum, geriet ins Wanken, torkelte zwei Schritte rückwärts und landete unsanfter als beabsichtigt auf der Bank. Großartig, beglückwünschte er sich. Du bietest gewiss einen erheiternden Anblick. Und seine kaum verheilte Wunde meldete deutliche Proteste gegen all diese raschen und ruckartigen Bewegungen an …
    Miriam kniete am Beetrand im Gras und machte sich mit einer kleinen Harke an den zarten Pflänzchen zu schaffen, die gerade erst aus der Erde lugten. Ihre Hände waren voller Erde, aber nicht eine Krume hatte ihr schlichtes blaues Kleid verunziert, und das weiße Tuch, das sie um Kopf und Schultern trug, war ebenso makellos.
    »Vielleicht habt Ihr recht«, räumte er ein. »Ich schätze, Euer Vater wird mir den Kopf abreißen, wenn er mich hier draußen erwischt.« Erst recht, wenn er mich allein mit dir hier draußen erwischt, fügte er in Gedanken hinzu. Er hatte so eine Ahnung, dass sich das bei Juden ebenso wenig gehörte wie bei anständigen Christenmenschen. »Ich hoffe darauf, dass er noch ein Weilchen bei seinen Kunden festgehalten wird.«
    »Patienten«, verbesserte sie unwillkürlich, sah ihn unverwandt an, die Hände jetzt untätig im Gras, und auf einmal lächelte sie. »Ich hoffe das auch, um Euch die Wahrheit zu sagen. Denn er schätzt es nicht sonderlich, wenn ich im Garten arbeite.«
    »Warum nicht, in aller Welt? Ich dachte, alle Väter wären erleichtert, wenn ihre Töchter fleißig sind, statt die Tage vor dem Spiegel zu verbringen und bunte Bänder in ihr Haar zu flechten.«
    Sie betrachtete ihn mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. Er fand es unmöglich, zu ergründen, was sie dachte. Vielleicht war die Vorstellung von Bändern im Haar ihr fremd und suspekt. Vielleicht fand sie ihn unverschämt. Er wusste es nicht, und mit einem Mal war er verlegen.
    »Er bezahlt einen Nachbarssohn, um den Garten in Ordnung zu halten«, erklärte Miriam ernst. »Er denkt, es gehört sich nicht für eine Frau aus guter Familie. Er ist wie alle Väter. Ein wenig rückständig.« Der liebevolle Ton stand in seltsamem Widerspruch zu den unverblümten Worten. »Aber der Nachbarssohn weiß Storchschnabel nicht von Schellkraut zu unterscheiden und richtet hier mehr Unheil als Ordnung an, wisst Ihr.«
    »Sehen sie sich denn ähnlich? Storchschnabel und Schellkraut?«, fragte Losian.
    Sie stand aus dem Gras auf, trat ein paar Schritte nach links, beugte sich herab und rupfte ein Blatt von einer kleinen Pflanze. Dann suchte sie die braune Erde einen Moment mit den Augen ab, entdeckte, was sie wollte, und erntete noch ein wenig junges Grün. Sie trat zu der Bank und streckte Losian die Hände entgegen, in jeder ein Blättchen.
    Er betrachtete sie eingehend, wobei er Mühe hatte, den Blick auf das Grünzeug zu konzentrieren, nicht auf ihre schmalen Handflächen, deren rosige Haut durch die dünne Schicht aus Gartenerde schimmerte. »Ja. Ich sehe, es ist schwierig, sie zu unterscheiden.«
    »Nur für das ungeschulte Auge«, gab sie zurück. »Und wenn man im Zweifel ist, kann man immer noch seiner Nase folgen. Storchschnabel hat einen unverwechselbaren Duft. Seht ihr?« Sie rieb mit dem Daumen der Linken über das Blatt in ihrem Handteller und hielt es ihm dann hin.
    Losian schnupperte und hob mit einem überraschten Lächeln den Kopf. Es war ein starker, würziger Duft, der beinah in der Nase prickelte, aber sehr wohlriechend. »Und welches von beiden ist nun das unerwünschte Unkraut?«, wollte er wissen.
    »Das hängt davon ab, wen ihr fragt. Das Schellkraut, würden gelehrte Leute wie mein Vater antworten, aber die englischen Kräuterweiber schwören, es lindert Gallenbeschwerden.«
    »Und was kann … wie heißt es? Storchschnabel?«
    »Blutungen stillen, Hautkrankheiten heilen, das Blut reinigen und ein paar andere Dinge, über die man nicht spricht.«
    Losian nickte, gebührend beeindruckt. »Woher wisst Ihr diese Dinge, wenn man nicht darüber spricht?«, fragte er neugierig.
    »Mein Vater gerät gelegentlich ins Schwärmen, wenn er über die noble Kunst der Medizin referiert, und vergisst, wer ihm zuhört.«
    Das Wort »referiert« war Losian fremd. Er ahnte, was sie meinte, aber es beschämte ihn, dass dieses Mädchen seine Sprache besser konnte als er selbst. Und ein wenig ärgerte es ihn auch. Er wusste nichts

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