Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
Rückkehr ins gewöhnliche Dasein, aber als ihr Gesicht sich darüber verzerrte, spürte sie ihre leidenden Eckzähne unter den Lippen vorschlüpfen wie hungrige Kinderlein, die nach Nahrung sperrten. Es war zu spät. Für alles zu spät außer fürs Sterben.
    Sie erreichten das Haus des Rudels, in dem jetzt nur noch zwei lebten, Bernadette und Geburah, Eva und Adam der Nacht.
    Das schieferschwarze Holz, die blindenbebrillten Fenster, die sich gegenseitig widersprechenden Gauben, der bergfriedhafte Turm, die düsteren Nadelbäume ringsum – diese Villa strahlte selbst für Hiobs Verhältnisse eine erstaunliche Morbidität aus, wie ein schwarzweiß gebliebenes Relikt aus den Universal-Studios der dreißiger Jahre inmitten einer buntgeplapperten Welt.
    »Aber wo liegt dieses Hill House? In Neu-England, heißt es«, rezitierte Hiob. »Oder liegt es vielleicht in einer dunklen unerforschten Landschaft der menschlichen Seele? Jener Seele, die des Menschen Gott und des Menschen Teufel ist? Ich weiß es nicht.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ein Zitat. Aus einem Film, der mich in meiner Kindheit umgehauen hat. Das ist wirklich ein ganz erstaunliches Stück Obdach, das euch der Fürst der Tiefe hier gewährt hat. Kannst du dir auch nur vorstellen, was innerhalb dieser Wände alles passiert sein mag, selbst bevor ihr hierherkamt?«
    »Ja. Wir denken gerne über so etwas nach. Arne war sogar überzeugt, dass er irgendwo im Keller oder in einer der dickeren Wände oben noch ein eingemauertes Kind finden würde oder so was, aber er hat nichts gefunden. Komm.«
    Als sie sich der rußig wirkenden Veranda näherten, vermeinte Hiob oben auf dem verwinkelten Holzschindeldach eine Bewegung wahrzunehmen, aber das musste wohl ein Vogel gewesen sein.
    Innen drin war es dunkel und staubig, die Luft war jahrhundertealt, obwohl hier doch Menschen wohnten. Ein matt schimmernder Geruch von Urin lag über allem, Tropfen schwarzen Kerzenwachses bedeckten in ungleichmäßigen Formationen die hölzernen Parkette. Möbel waren Biedermeier, wundgetobt, Tische furchig, unglasiert und schwer. Elektrisches Licht oder -leitungen waren nirgendwo zu sehen, Gaslichtlampen schimmerten mondlich an allen Kreuzungen. Es war so still hier und so drückend warm, dass Hiob seine eigenen Füße beim Auftreten nicht mehr spüren konnte.
    Bernadette führte ihn durch eine von Holzwurmrunen beschriftete Tür eine freitragende Treppe hinunter in eine Gruft, so wie er sie wenige Tage zuvor in das Grabgewölbe seiner Familie geführt hatte. Unten, unter den Krypta-Deckenbögen, lagen zwei angeschimmelte Menschenleichen recht verloren herum, weiter war hier nichts. »Keine Särge zum drin schlafen?«, schmunzelte Hiob. Bernadette entgegnete: »Wir haben immer irgendwie versucht, avant garde zu sein.«
    Den Dachboden wollte sie ihm auch noch zeigen. Die Treppe ins obere Stockwerk führte an mehreren hohen, schmalen, von graugegilbten Spitzenstores verflorten Fenstern vorbei, durch die nur die düstersten Spektralanteile dringen konnten. Über mehrere Stufen war Blut hinabgeflossen, vor noch gar nicht allzu langer Zeit, wie ein kleiner Katarakt.
    Oben, näher an der Sonne, war es noch heißer. Die Hitze war trocken wie Stroh, machte beim Atmen die Luftröhre spröde. Die Atmosphäre von Folter, Angst und zähnebleckender Gnadenlosigkeit war hier oben noch stärker. Hiob musste sich an Stukkaturen festhalten, um nicht in weite, lauernde Zimmerfluchten zu stürzen. Bernadette hatte die dünnen Arme ausgebreitet, ihr Kopf wiegte leicht hin und her. Hiob konnte das Lächeln ihres Besitzerstolzes durch ihren Hinterkopf sehen. Er versuchte, sich an das lebendige Sommergrün dort draußen zu erinnern, an die Vögel und Nager, aber all das war so weit fort. Die Wand, die er jetzt berührte, hatte den unbeschreiblichen Todesschrei eines zwölfjährigen Mädchens in sich aufgesogen wie ein Schwamm. Das Murmeln, Summen und Stampfen einer zehnfüßigen Beschwörung grollte als Prozession von unten herauf, und das Unerträgliche, Widerliche an dieser Dämonenrufung war ihre Nutzlosigkeit, ihre Fehler und die Vermessenheit, das, was es wirklich gab, so unglaubwürdig anzurufen. Zwei kalte Klauen legten sich von den Hüften her über Hiobs Bauch und krallten sich dort ein. Zum Dachboden führte eine weitere Treppe ohne Geländer. Hiob blinzelte heftig, versuchte sich zu konzentrieren. Wenn er jetzt nicht aufpasste, wenn er den Aus-Atem dieser Holzgewölbe zu sehr in sich aufnahm, dann

Weitere Kostenlose Bücher