Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
Dort blieb er sitzen und beobachtete, wie Bernadette dem ächzenden Gefäß wieder auf die wackligen Beine half.
»Alles ist schiefgelaufen, Bernadette«, klagte Geburah mit leiser Stimme. »Am Anfang waren wir alle so wunderbar zusammen, niemand konnte uns trennen und nichts uns etwas anhaben. Wir gingen gemeinsam immer weiter und immer weiter, dorthin, wo noch niemand war, und wir verstanden unsere Sprache und passten aufeinander auf. Dann ging alles auseinander. Jeder machte nur noch sein eigenes Ding, wir waren kein echtes Rudel mehr. Dirk-Daniel konnte sterben, ohne dass auch nur einer von uns anderen in der Nähe war. Sonja konnte uns verlassen, ohne dass wir es anfangs auch nur spürten. Und hast du Arnes Schreie gehört, draußen in der Nacht? Nein, du hast nichts gehört. Du warst zwar in der Nähe, du warst zwar da, aber du warst viel zu sehr mit dir selbst beschäftigt, um etwas zu hören. Und jetzt er. Du hast wieder modisches Blut getrunken. Du hast unseren Kreis zerbrochen, du hast Fremde ins Rudel gelassen, und alles geht zu Ende.«
»Ich habe einen Fremden ins Rudel gelassen, um uns alle zu retten«, sagte Bernadette mit Tränen in den Augen. »Als ich ihn kennenlernte, war ich schon allein. Ich konnte keinen von euch mehr wirklich erreichen. Er ist unsere einzige Hoffnung.«
»Ich liebe dich, Bernadette«, entgegnete Geburah sanft. »Ich habe dich von anfang an geliebt und werde dich immer lieben.«
Bernadette weinte jetzt offen. Hiob konnte sie nicht trösten. »Ich liebe dich auch, Geburah. Ich gebe dich nicht auf. Ich kämpfe darum, dass wir für ewig zusammensein können, ewig, bis die Sonne stirbt und wir gewonnen haben.«
»Ewig, bis die Sonne stirbt.«
»Komm herab, Geburah, komm herunter zu mir, ich will dich spüren, bitte.«
Geburah erhob sich und schwang sich von seinem Standort aus weiter nach oben ins Gebälk. Nur noch kurz waren seine trainierten Bewegungen zu sehen, dann war er in der wespennestversetzten Lichtverneinung unterm First verschwunden. Er wurde eins mit Höhe.
Bernadette half dem schnaufenden Hiob, die Treppen hinab den Weg nach draußen zu finden. Die von allen Seiten heranstürmende Helligkeit und die Feuchtigkeit der Hitze draußen waren Schocks, die ihn noch einmal zu Boden schlugen. Übereinander, schwer atmend, blieben sie beide im Gras liegen, bis die Sonne ihre Pfeile verschossen und die streunende Katze sich aus dem Unterholz zu ihnen hingewagt hatte.
Wortlos fuhren sie beide mit der ruckelnden und rötliches Licht durch die Fenster klappenden S-Bahn nach Berlin. Auch wenn er nicht den ganzen Tag und die ganze Nacht bei ihr bleiben konnte, um sich um sie zu kümmern, so wollte Hiob doch, dass Bernadette in seiner Wohnung blieb, bis sie für die große magische Eröffnung bereit war. Das schwarze Haus des Tötens sollte Vergangenheit bleiben. Sie war damit einverstanden, und als sie in der City ankamen, setzte Hiob wieder die in ihren Augen rätselhaften und inkonsequenten Bestrebungen fort, mit denen er sie schon in den letzten Tagen überrascht hatte, aber er war der Magier, nicht sie, und er musste schließlich am besten wissen, wie man ein echter Vampyr wurde: Er lud sie in ein gutes Restaurant ein und fuhr damit fort, ihr mühsam das Essen wieder beizubringen.
Die farbenwechselnden und weithin sichtbaren Ampeln waren Blumen der Nacht. Die Schwärmer der Nacht waren farblose Motten, die von parfumnassen schweren Flügeln am Boden gehalten wurden und dort kläglich summende Kreise zogen. Leichenwagen der Nacht kreuzten auf rissigen Straßen der Nacht auf der Suche nach verbotenen Tänzen der Nacht auf vaporisierten Tanzflächen der Nacht. Die Sterne viel zu weit von der Hauptarena entfernte Sonnen, der Mond ein matter Spiegel ultravioletter Boshaftigkeit. Der König der Nacht drehte sich auf dem Rist eines Daches, die Arme umeinander und aufwärts gewoben, die Füße dem zirpenden Klicken von Rot-Gelb-Grün Grün-Gelb-Rot zwei Schläge voraus. Er trug nur eine abgewetzte schwarze Hose, seine Muskeln schimmerten feucht im Neon der Banken und Firmen ringsum. Eine Windbö mit ein ganz klein wenig Regen drin kam heran und zog an seinen Hosenbeinen und Haaren, und er beugte sich lachend weit nach hinten, bis sein Oberkörper acht Stockwerke oberhalb des Bürgersteiges war. Der Wind verlor den Ringkampf, wie immer.
Von hier oben konnte er ausschauen über die gesamte Stadt mit ihren blinkenden Erkern und Türmen, mit den UFOartig leuchtsignalisierenden
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