Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
trieben, Holz- oder Kunststoffbohlen, wie sie seitlich an den Landstraßen standen, wahrscheinlich Trümmer seines Schiffes, oder tatsächlich eine gekenterte Straße. Er musste zu einem dieser Balken hinschwimmen. Seine Beine sanken schon immer tiefer ein. Lange würde er sich, ohne sich an etwas festzuklammern, nicht mehr halten können.
Er kam voran. Der rote Teppich war wie Öl jetzt, schlug raue Wellen und behinderte ihn. Überall trieb Müll herum, weiße Bälle und ganze Autowracks. So viel Müll war hier, so viel, dass man auf dem Meer, das dunkel und klebrig war wie Vogelleim, fast laufen konnte. Er hielt die Luft an, nahm alle Kraft zusammen und arbeitete sich Zentimeter um Zentimeter an die weißen Balken heran. So gleichmäßig die Balken, so gerade, es konnte auch eine angemalte Bojenmarkierung sein, die das Nichtschwimmer- vom Schwimmerbecken trennte. Er fragte sich, in welchem von beiden er sich befand. Sie antworteten.
Sie waren es. Sie waren zurück. Sich schüchtern nähernd, aber doch von Neugier gelockt. Seine Sirenen. Sein unverfälschtestes Rot, schöner noch als Blut, strahlender als Liebe. Gerade jetzt gab sein Körper nach, seine ausgestreckten Finger verwelkten dicht vor der weißen Linie, Tod brauste malmend heran als ein Djinn, der ihn Dürstenden in der Geröllwüste Nefud mit sich reißen würde. Bernadette! Bernadette! Das Wunder der heiligen Berna ...
Jetzt! Der Tod! Das war er. Lärmend, leidenschaftlich, stinkend. Geburah schüttelte sich. Das war es also gewesen. Er war tot, gestorben, gerade eben, jetzt, vorbei. Er schluckte wild. Belial und Asmodias. Die Sirenen, die Sirenen.
Mit einem letzten ungeheuerlichen Ruck vorwärts erreichte seine Hand den weißen Balken, umklammerte ihn, zog den ganzen Körper nach, griff unter dem Balken durch und um ihn herum und hielt sich so fest im eiskalten All. Mit staunenden Augen starrte der tote Mann in die Scheinwerfer des heranheulenden Feuerwehr-Notarztwagens. Das Blau tanzte so, das Rot wieder anders, er lachte, winkte, aber als die hektischen Männer aus dem Wagen ihn erreicht hatten, war kein Lebenszeichen mehr an ihm feststellbar.
d) Genesis und Apokalypse
I know Pain at the molecular Level ...
(James O’ Barr: The Crow)
Hiob saß im Dunkel Babylons und starrte auf The Crow .
Etwas berührte ihn seltsam daran, und es hatte nichts zu tun mit dem Medienhype von einem tödlich verunglückten Schauspieler, den man per Computer von den Toten erweckt hatte, damit er einen tödlich verunglückten Musiker darstellen konnte, der von den Toten auferstand. Es hatte etwas zu tun damit, wie uninteressant und nichtssagend das Gesicht des Schauspielers war, wenn er ungeschminkt war, und wie faszinierend seine Augen und sein Lächeln, wenn er der Harlekin der Rache war. The Boiling Man . Freeeeeze! Da war etwas in der Geschmeidigkeit seiner Bewegungen, über den Dächern wie der tote Dachdecker, aber noch viel phantastischer, da war der Vogel, der sein Freund war oder seine Seele (Raben und wahrscheinlich auch Krähen waren NuNdUuNs – und Wotans – Wellensittiche), da war etwas in dem freudlosen Lachen eines unsterblichen kopflosen Lowlanders, der sich in eine freudlose Gasse fallen ließ, um einen Killer zu töten. Ja, und The Crow war ein Virtuose des Tötens. Er konnte Junkies einen Schuss verpassen, spektral weit jenseits der Begrenzungen von Golden , und er konnte gotische Wasserspeier das reine Blut eines Guy of Gisburne über die Stadt spucken lassen. Dieser durchgeknallte, weiß getünchte Wiedergänger beherrschte die Kunst des Sterbens in all ihren Facetten vollkommen, und er starb all dies für Liebe.
Als Hiob das Kino namens Babylon verließ, war er wenig überrascht, wie sehr das nächtliche Kreuzberg am Kottbusser Tor dem Detroit der Devil’s Night ähnelte. Es war eine Stadt, ein Geist, alle Städte waren eine Stadt, überall das Herz der Welt. Berlin – Hiobs Berlin – war genauso sehr Inferno und Himmelreich wie New York, Hongkong, Dis und Freeside. Also war er hier richtig. Also war das hier sein Zuhause.
Er ging zu Fuß, wie meistens, atmete und dachte, rechnete und wog, suchte in den Erleuchtungen der Dunkelheit nach Irrlichtern und Strandungsfeuern und wich dann doch nicht ab, nicht einen Millimeter. Er suchte eine Weile, bis er das Richtige gefunden hatte, dann erreichte er eine kleine Straße, die gleich von zwei verschiedenen Kirchtürmen beherrscht wurde, nämlich dem mittelalterlich trutzigen Wachturm der
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