Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
Nachthimmels ein bisschen wie eine aufgeblähte Parodie auf ein muslimisches Gebetskettchen aussah, zu vertrauen, aber seine rechte Hand an der Rinne verkrampfte jetzt völlig und rutschte weiter ab, also warf er seinen linken, bislang abgespreizten Arm in die Höhe und bekam unter einem Linksruck des gesamten Körpers Hiobs Kette zu fassen. Gleichzeitig brach das Stück Blechrinne, das ihn bisher gehalten hatte, völlig von der Resttraufe ab, und er hielt es nun in der gefühllos fallenden Rechten fest. Eine idiotische Zehntelsekunde später riss auch die Kette des Magiers, löste sich fasernd in eine ungeordnete Formation stürzender Früchte auf. Geburahs Körper sackte sofort, fleischfetzend an der rauen Putzwand scheuernd, in die Tiefe ab, sein Magen noch in der ersten Sekunde von der Beschleunigung des Freien Falls zum Brechreflex gezwungen. Von einer merkwürdig klaren Konzentration erfasst, raste Geburah an mehreren schnellspiegelnden Fenstern vorbei und drückte sich dann mit einem fast perfekten Ruck von der gigantischen Feilenwand ab, um halb rückwärts gegen die elegant geschwungene Bogenlaterne zu schmettern, die sich unter dem Ansturm des berstenden Körpers kreischend zur Straßenfläche hin zum Korkenzieher bog. Der gleißend hell aufflammende Lampenkopf und Geburahs unrettbar verdrehter Leib schlugen gleichzeitig auf der dunklen Straßenfläche auf, etwa in gleicher Entfernung zwischen Bordstein und Mittelstreifen. Mit einem funkenden und stark rauchenden Fauchen verlosch die Laterne für immer, während die gefallenen Knollen aus Hiobs dargebotenem Knoblauchkranz wie fetter, trockener Schnee über das Stilleben hinregneten.
Hiob ließ den noch in seiner Hand verbliebenen Rest des Knoblauchkranzes ebenfalls in die Tiefe fallen, dann wälzte er sich dacheinwärts herum, um sich den Blicken eventuell aufschauender Schaulustiger zu entziehen. Er musste sich seinen Handrücken auf den Mund pressen, um nicht laut und brüllend loszulachen.
Was unten auf der Straße geschah, bekam Hiob nicht mehr mit. Es hatte auch keinerlei Auswirkungen auf das Spiel oder auf diese besonderen Spielzüge. Es hatte keinerlei Auswirkungen mehr auf irgendwen, außer vielleicht auf ein paar Beamte von der Mordkommission, die später ihren ungläubigen Frauen von der Blutspur erzählen würden.
Guido Schnade schlug die Augen auf.
Er fand sich selbst bäuchlings auf einer Art rötlichem Moosteppich auf einer schwarzen Wiese liegend und langsam zu Wasser werdend. Merkwürdige Schmerzen, die wie Brennesselstreicheln waren, erfüllten jeden Teil seines Körpers unterhalb der Schultern. Beunruhigend war auch, dass in der Ferne überall Lichter waren, aber keines von ihnen bis zu ihm herdrang. Er versuchte sich zu bewegen. Sein geschmolzener Leib war schwer wie Metall. Er war das Spielzeug eines Zinngießers, vielleicht eine Zufallszukunft zu Silvester.
Er schlug die Augen wieder auf. Jetzt erkannte er die Straße, die vorher noch die Tiefe gewesen war, so unwichtig und fern, jetzt war sie ganz nah, presste sich raunend an ihn, leckte seine Wange mit rauer Zunge. Er konnte ein bisschen nach oben gehen und sich selbst dort liegen sehen – zerbrochen, defekt, eine ›hilflose Person‹, wie es im Polizeijargon heißt. Mitten auf der Fahrspur einer Zweispur-Carrerabahn. Und keine roten Autos heute, um ihn zu erlösen.
Nein, so wollte er nicht sterben, konnte er nicht sterben, nicht er, nicht Geburah, nicht Stärke, nicht Gesetz der gerechten Vergeltung, Selbstdisziplin. Zu weit, zu weit waren sie gekommen, und er der Strahlendste von allen. König Ohnelicht. Gab es nicht so ein geflügeltes Wort? ›Im Rinnstein liegen.‹ ›In der Gosse sterben.‹ Das war es, das war er, jetzt, viel zu nah am Rinnstein, viel zu nah am Rand. Er konnte die sorgsam unterbrochene weiße Linie in der Mitte der Straße sehen, ein durchschlüpfbares Hindernis in einem Videospiel, ein Ziel. Volle Kraft voraus. Lächelnd setzte er sich in Bewegung.
Zu weich die Arme. Zu schwer der zertrümmerte Kopf. Aber unterhalb der Schultern ja nur Wasser, nur Brennesseln, Hämmer und Nägel, Ziegelstaub und Asche. Er kam voran. Seeschlangen mit hoch aufwärts gebogenen Hälsen und leuchtenden Zähnen, nur direkt in seiner Nähe war es dunkel, als trauten sich die schweigenden Ungeheuer noch nicht so richtig an ihn heran. Wenn er Luft holte und Wasser ausspuckte, konnte er vor sich eine Reihe von weißen Balken sehen, die ruhig an der Oberfläche der Tiefe
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