Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
irgendwelche Akten über ihn?«
»Ich zufallig habe Akten uber Mister Otts hier bei mir, weil Verwaltung oben gerade wird umgestellt und zwei Abteilungen zusammengefasst wegen der gegenwartigen Rezession und der damit verbundenen Ersparnis. Sie wieder haben Gluck. Das hier durfte sein ziemlich vollstandig.«
»Yep, ich bin ein richtiges Glückskind. Vielen Dank.«
Während Dr. Yaycayab sich mit dem Eifer des von der Presse Beachteten daranmachte, mit einer fußbetriebenen Pumpe den Mageninhalt eines toten Chicanos abzusaugen und in einen grünlichen Spezialbeutel zu füllen, setzte sich Hiob auf einen freien Obduktionstisch und blätterte mit zunehmend faltiger werdendem Gesicht in der Akte Otts.
Dem Bericht zufolge war Otts bis zu seinem sechsunddreißigsten Lebensjahr ein durchschnittlich spießiger Angestellter in einem kleinen Mainstream-Musik-Store-in-Store in Tappahannock am Rappahannock River gewesen, mit sporadischen Kontakten zur dortigen Motorrad- und Drogenszene, aber im Grunde genommen viel zu konservativ, um wirklich ein libidinöses Leben zu führen. Er hielt Guns’n’Roses für revolutionär und rauchte ab und zu Pot, wie jeder andere Verlierer auch. Dann, vor drei Jahren, hatte er plötzlich, ohne erkennbares Motiv, damit begonnen, in der Umgebung von Richmond Leute umzubringen, die er vorher nie gesehen hatte und die ihm somit auch nichts getan haben konnten. Immer einen einzeln, Männer und Frauen bunt durcheinander, sieben an der Zahl. Das Mordinstrument war jedes Mal ein kitschiger Brieföffner aus Thailand gewesen, und der ermittelnde Polizeipsychiater hatte in einer eitlen Abhandlung gemutmaßt, dass dieser Brieföffner lediglich in »lethargischer Ermangelung« irgendeiner anderen Waffe jedes Mal von Neuem benutzt wurde. Für den Psychiater war es nichts als eine tiefenpsychologische Folgerichtigkeit, dass Otts den Brieföffner nach jeder Tat dazu benutzt hatte, dem jeweiligen Opfer sämtliche Haare – auch Scham-, Achsel, Brustbehaarung – abzuschaben, um sie in einer Drugstore-Plastiktüte mit nach Hause zu nehmen. »Der Patient transportierte mit den Haaren den ritualistisch veräußerlichtesten Teil seiner Opfer mit in seine Wohnung, um den weichen, schützenden, atavistischen Körperbewuchs dort in der sozial sanktionierten Intimität der eigenen vier Wände in aller Ruhe zu streicheln und zu liebkosen und sich wie ein nestbauender Vogel darin zu aalen, einen mit einem lebendigen, unerwartbar reagierenden Partner unerreichbaren Paarungsritus substituierend.« Dafür, dass in Otts Wohnung kein einziges Haar gefunden wurde, hatte der Psychiater natürlich keine Erklärung parat, aber im Wortschwall seiner professionellen Dummdreistigkeit fiel das schon gar nicht mehr auf.
Hiob lächelte verzweifelt. Magie hatte keine Gesetze. Nichts in der magischen Lehre war eindeutig oder wenigstens binär. Nach den Anleitungen der Mama Barbedienne ( La Veuve Rouge ) war der Haarritus der beste Weg, einen anderdimensionalen Freund zu finden, nach der offiziell verschollenen Liste der Verflechtungen von Bischof Deigen jedoch war das Verbrennen von Opferhaar auf dem nackten eigenen Leib die vortrefflichste Methode, einen bereits inwendigen Daimon zu füttern. Was also war der Grund für die Morde gewesen? Hatte Otts schon einen Dämon, und wenn ja, wie war er an ihn gekommen? Oder kam der Dämon erst durch die Morde zu ihm, vielleicht erst im Gefängnis? Wenn Hiob den jetzt freigesetzten Gegner stoppen sollte, war es von entscheidender Notwendigkeit, mehr über ihn zu erfahren, und die Akte enthielt nichts weiter als eine grobkörnige Schwarzweißfotografie von Otts Zelle, datiert mit einem Tag im achten Monat von Otts Haft. Das Foto zeigt eine mit Kot und kalligraphischem Ungeschick an die Wand geschriebene Botschaft an die unverständige Welt:
»Mein Gott! Ich habe ihn hier in mir,
so schrecklich und so schön.«
Mindestens seit diesem Zeitpunkt war der Dämon also in ihm gewesen. Seit über einem Jahr. Zeit genug, den E-Stuhl-Plan in aller Perfektion vorzubereiten. Wie war der Dämon reingekommen? Was für eine Art Dämon war es? War es ein perfider Impraegnaticus, der sich mit dem Sperma eines Otts in der Knastdusche vergewaltigenden Muskelpakets in Otts Körper pumpen ließ? War es ein Freitodschmeichler, der die Verzweiflung eines zum Tode Verurteilten in einer dunklen Nacht ausnutzte, um sich mit sengender Machete einen Weg durchs Hoffnungsgestrüpp zum Herzen zu bahnen? Oder ein einfacher
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