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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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als er sie öffnete, musste er feststellen, dass sie ranzig geworden war, schwarz verfärbt und ölig-sülzig vom jahrelangen Nicht-Gebrauch. Shit. Die konnte er nur noch wegschmeißen. Einen verdammten Tag noch, sagte er sich, einen verdammten Tag, und wenn es morgen schlimmer wurde, musste er halt zur Apotheke.
    Am Abend hoffte er noch, dass sich jetzt nicht das Fließ melden würde, um ihm das wettentscheidende Prognosticon zu übermitteln, er fühlte sich in dem Zustand nicht danach. Manchmal konnte eben auch ein Hiob Montag einfach nur enorm naiv sein.
    Das Jucken der Nacht wurde zu einem Buckern. Am Rücken kratzte Hiob sich so lange, bis es wehtat. Es war zu quälend, um ihn schlafen zu lassen, aber er war zu müde und zu übernächtigt, um aufzustehen und die Nacht für beendet zu erklären. Hiob redete sich ein, dass es okay war, sechzehn Stunden im Bett zu verbringen. Draußen war es eh nur kalt, und vielleicht heilte auf die Art sein Infekt ab. Er rollte sich wie ein winterschlafendes Tier unter seiner dicken Winterdaunendecke zusammen und döste und spielte Fangen mit seiner Selbstbeherrschung, den Juckreiz an einzelnen Körperstellen zu ignorieren.
    Irgendwann am späten Abend dann war er munter und stand auf. Er tappte ins sperrige Bad und knipste das Licht an. Er sah okay aus, nicht unbedingt besser, aber auch nicht schlechter. Er hatte halt Windpocken, eine Kinderkrankheit. Einfach nicht zu fassen, verdammte Scheiße.
    Er duschte. Da lauwarmes Wasser sehr angenehm war, duschte er anderthalb Stunden lang und kam mit runzligen Greisenfingern wieder zum Vorschein. Er fühlte sich jetzt besser und aß etwas. Morgen würde er trotzdem zur Apotheke gehen und sich eine Salbe kaufen, um den Abheilprozess zu unterstützen. Nicht, dass noch irgendwelche pockenartigen Narben zurückblieben.
    Er zog sich das Fernsehnachtprogramm rein. Ein portugiesischer Spielfilm, Lilo Wanders mit dem üblichen Latextitten-Voyeurismus, die Letterman-Show (eine Folge, die mindestens ein halbes Jahr alt sein musste), ein paar barbusige Nixen und ein bisschen S-Bahn-Surfen für Gichtkranke, das Übliche halt. Ärgerlich war, dass er kein einziges Buch besaß, in dem er jetzt gerne schmökern würde. Morgen würde er sich eins kaufen müssen. Zum Malen hatte er nun überhaupt keine Lust. Also spritzte er sich ein bisschen Dihydrocodein, hörte Musik mit Kopfhörern und befühlte die leichten Muskelkrämpfe, die unter seiner Bauchdecke rollten.
    Als es draußen peinigend langsam hell wurde und die Müdigkeit wieder wie eine muffige Pferdedecke von hinten über ihn herfiel, schälte er sich in mehrere Lagen kalter Kleidung und ging nach draußen, streunte bis zur Ladenöffnungszeit ziellos durch die eisverkrustete Gegend. So werden Triebtäter gemacht.
    Der Mutter in der Apotheke schilderte er seine Symptome, und sie drehte ihm eine teure Tube Linderungssalbe an. Hiob schlurfte heim, rieb sich die verpustelten Partien damit ein, wartete vergeblich auf Linderung, zog sich wieder was über, fuhr in eine Buchhandlung, ließ Das Foucaultsche Pendel in seiner Manteltasche mitgehen und verdrückte sich wieder nach Hause. Die Blicke der Leute waren schlimm gewesen. Sie hatten gesehen, dass mit seinem Gesicht was nicht stimmte. Die Abfolge der Phasen war immer gleich gewesen: Erschrecken, dann Einordnung des Sichtbaren unter a) Pusteln und b) Masern oder Pocken oder so was, damit einhergehend erst Erleichterung, weil einordbar, dann aber Versuch des Abstandgewinnens, denn man weiß ja nie, wenn vielleicht Pocken, dann wie ansteckend und welche neue resistente Art und so. Die Menschen, die ihn sahen, wünschten sich, er wäre nicht da. Womit hatten sie ihn verdient? Hatten sie nicht schon genug Probleme?
    Das war ziemlich schlimm. Hiob knirschte mit den Zähnen, wenn er daran dachte, wie er sich für das Wohl dieser ganzen Arschbackengesichter einsetzte, Tag für Tag, seit das Spiel begonnen hatte. Während die ihren jämmerlichen Sörglein nachhingen, wo man ein paar Penunzen einsparen konnte, um nicht auf den Costa-Brava-Badeurlaub im Sommer verzichten zu müssen, rannte er mit einer radioaktiven Granate über der Schulter durch Tokyo, um einen Serienkiller-Samurai zu sprengen. Während die Ehemänner Liebesnester mit der Kollegin an ihren Familien vorbeibauten und die Frauen ihre Zelluloseärsche am Heimtrainer breitstrampelten und die Kids darüber winselten, dass sie sich die neuesten Markenklamotten von ihrem vierstelligen

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