Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
die ganze Zeit. Sie taten niemals etwas anderes als singen und tanzen und lächeln und lieben – platonisch natürlich, oder zumindest sehr, sehr viel zärtlicher als die großmäuligen Altersgenossen aus den Schulen. Hiob verfolgte gebannt vorm Fernseher jede Sendung zum Thema, die er erwischen konnte. Die weinenden kleinen Mädchen rührten ihn fast selbst zu Tränen. Jede Einzelne von ihnen würde eines nicht mehr allzu fernen Tages feststellen müssen, dass alles, was sie im Leben bekommen würde, ein Kerl war, der nicht halb so gut aussah wie ihr Traumboy; der schlechte Laune hatte, wenn etwas nicht nach seiner Pfeife lief; der mehr interessiert war an Fußball und Autos als an Romantik und Musik; der sie ausschloss und runtermachte vor seinen grölenden Freunden; der sie zum Blasen hernahm und ihr mit alkoholgeschärftem Atem eine scheuerte, wenn sie sich sträubte; der anderen Mädchen zotig nachstarrte und es genoss, verbale Verletzungen zuzufügen, die wirklich tief blieben. Jede Einzelne von ihnen hatte bei der Geburt ein Abonnement abgeschlossen auf Enttäuschung und Verzicht. Und deshalb weinten die kleinen Mädchen, als Take That sie zynisch grinsend alleinließen, und deshalb trauerte auch Hiob um das schlaflos zerknüllte Potenzial von Träumen, die so intensiv und ehrlich waren, dass sie keine Chance hatten.
Es waren also merkwürdige Tage, Tage der Kälte und der reifbedeckten Nacktheit, in die das elfte Prognosticon sich nahtlos einfügte, als wäre es schon immer irgendwie da gewesen, nur eben noch nicht so richtig.
Dabei begann es ziemlich harmlos. Es war Hiob anfangs unmöglich zu bemerken, dass es überhaupt bereits begonnen hatte.
III
Am Anfang war da eine ziemlich unruhige Nacht, an die er sich hinterher nur noch insofern erinnern konnte, als er mehrmals aufgewacht war, weil seine Stirn und sein Haaransatz juckten und er sich kratzen musste. Nichts Besonderes eigentlich.
Am folgenden Morgen erschrak er, als er in den Spiegel über dem Waschbecken sah. Seine Gesichtshaut war viel zu rot und wies bei näherer Betrachtung eine dichte Ansammlung von winzigkleinen Pusteln auf, ähnlich wie bei Windpocken oder Masern. Das musste eine neue Allergie sein, vielleicht hatte die Hausstaubmilbenpopulation seiner Wohnung in der Nacht endlich die Sechs-Milliarden-Marke überschritten, oder die schon Jahrzehnte alte Matratze war nun endgültig durchgesifft genug, um neuartige Bakterienkulturen hervorzubringen. Vielleicht heizte er auch zu viel und lüftete zu selten. Vielleicht hatte irgendein verrotzter U-Bahn-Mitfahrgast ihm beim sprühenden Anniesen einen saftigen Virus eingeflanscht.
Jedenfalls war es nicht allzu schlimm. Eine Ganzkörperuntersuchung zeigte, dass sich die Pustelrötung aufs Gesicht und die Handrücken konzentrierte, besonders auf die Stirn. Nun ja, es sah peinlich aus, aber was sollte’s, Hiob musste ja nicht unbedingt unter Leute gehen, er hatte noch genügend Tiefkühljunk im Schrank. Der Juckreiz war tagsüber vernachlässigbar, gegen Abend stellte Hiob sogar mit Erleichterung fest, dass die Rötung zurückzugehen schien.
In der Nacht juckte es wieder, lästigerweise zwischen den Schulterblättern fast schmerzhaft stark. Hiob wand sich unbehaglich und schappelte zwischen unerfrischend flachen Schlafphasen an sich herum.
Der morgendliche Blick in den Spiegel – in banger Seitlichkeit exerziert – entlarvte die Hoffnung des gestrigen Abends als Trug. Es war schlimmer geworden. Die Pustelchen hatten sich zu dunkleren Pustelherden zusammengeschlossen, Rücken, Brust, Unterarme und Hals waren jetzt auch befallen. So was wie Fieber verspürte Hiob nicht, also konnte es sich doch eigentlich wohl kaum um eine echte Krankheit handeln, es musste irgendeine neue Art von Allergie sein. Er erinnerte sich mit Schaudern daran, wie er als Kind immer wund juckende Oberschenkel gehabt hatte, besonders an den Ober- und Innenseiten, die immer dick mit Creme eingeschmiert werden mussten, was ihn wie ein Mädchen riechen ließ. Die Ursache wurde nie festgestellt, es war wahrscheinlich ein Vorläufer seiner späteren, in der Jugend auftretenden Beschwerden wie Nasenbluten, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Warzen an den Fingern und Ausschlag auf der Brust, nur dass dieser im Laufe der Zeit verschwand, während die anderen Malaisen Teile seines Lebens wurden und sich als astral-empathisches Erbgut entpuppten.
Hiob hatte noch eine beruhigend dunkelblaue Dose Hautcreme auf der Klo-Ablage stehen, aber
Weitere Kostenlose Bücher