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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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(sich selbst von hinten aus zehn Metern Entfernung erschießend) enden würde. Die restlichen fünf Prozent aber gehörten der Möglichkeit, dass Blunt, wenn er all das überlebte, eines Tages den Nobelpreis erhalten und die Nachfolge von Bill Gates als technokratischer Eskapismus-Guru eines tödlich gewordenen Planeten antreten würde. Das alles war schon ziemlich klasse und einzigartig, war aber leider auch der Grund dafür, dass Backspace Blunt nicht besonders zugänglich war.
    Astrid Rittner war die letzte aus Hiobs Freundeskreis, bei der er die Zeit wenn nicht tot–, so doch zumindest ordentlich zusammenzuschlagen hoffte. Sie gab ihm am Telefon zu verstehen, dass es kein guter Moment sei vorbeizukommen, da sie sich gerade Gewichte eingehängt hatte, und da er sich lebhaft vorstellen konnte, was sie damit meinte, wünschte er ihr viel Spaß für den Abend und verwarf den Besuch. Er sah sich kurz in einer viel zu weißen Backsteinecke kauern und der dominanten Lesbe dabei zusehen, wie sie erstens viel besser malen konnte als er und zweitens mit attraktiven Mädchen spaßige Dinge tat, die ihm verboten waren. Dazu kam noch, dass zwei glückliche Lesben einem Mann immer das Gefühl gaben, dass alle Kerle Schweine und Schlappschwänze sind. Darauf, sich das anzutun, hatte Hiob nun wirklich keinen Bock.
    Es war wie jinxed. Alle seine Leute hatten irgendwie alle Hände voll zu tun, einfach nur sie selbst zu sein. Wer aber war Hiob, wenn er nicht spielte?
    Nichts, nichts, nichts passierte. Kein Homunculus, der einen Zettel vorbeihinkte. Kein Greif mit einem Telegramm im Schnabel. Keine süße, spöttisch die Hüften wiegende Aries, die sich über Hiob lustig machte, während sie ihm die neue Marschrichtung kundtat.
    Ihm kam die Idee, dass NuNdUuNs neuestes und grässlichstes Prognosticon vielleicht darin bestand, dass sich überhaupt kein Prognosticon mehr ereignete, und Hiob beim Warten und Sich-den-Kopf-drüber-zermürben, was denn nun die nächste Aufgabe sein würde, schlichtweg in Wahnsinn und Katatonie verfallen würde. Aber so einfach und so durchschaubar würde es ja wohl kaum sein.
    Hiob cocoonte sich ein. In seiner Wohnung war’s wenigstens warm, scheiß doch auf die Heizrechnung im Mai. Er hatte keinen Bock mehr drauf, bei dem lebensfeindlichen Wetter draußen unter Menschen herumzulaufen und sich dabei mindestens genauso allein zu fühlen wie zu Hause.
    Er kaufte sich – von Kambers Sendung auf den Geschmack gebracht – ein paar CDs mit der tiefen, warmen Stimme von Cassandra Wilson drauf und ein englischsprachiges Buch über Louise Brooks mit vielen schönen Fotos drin. Er guckte sogar fern, beschissene tägliche amerikanische Fernsehserien wie Deep Space Nine , wo alle Darsteller wie sterile Roboter rumstaksten, langweilige geschwätzige Dinge taten und Dart spielten. Er fing an, darüber Vermutungen anzustellen, warum das deutschvereinigte Fernsehvolk Frauen wie Hannelore Elsner oder Iris Berben als Kriminalkommissarinnen richtig gut fand, obwohl die beiden doch wirkten, als könnten ihnen beim geringsten Schweiß die Gesichter verlaufen wie in einem brennenden Wachsfigurenkabinett. Verfolgungsjagden auf Stöckelabsätzen. Ein Hauch von Chanel in den Amtsstuben der staatlichen Asylantenprügler. Wann bekam endlich das erste lispelnd kichernde Supermodel seinen eigenen Kriminallaufsteg? Vielleicht wollten die Leute ja ein Bild von Kriminalität empfangen, das möglichst wenig mit der dumpfen Wirklichkeit zu tun hatte. Vielleicht wollten sie nicht, dass das Böse und das Gute banal sind. Vielleicht wollten sie ein bisschen Glamour wenigstens beim Ermordet- und Vergoltenwerden.
    Mindestens genauso fasziniert war Hiob vom Sterben von Take That. Was ihn daran fesselte, war nicht der marktstrategische Superschachzug, aus einem erfolgreichen Fünferpack fünf potenziell mega-erfolgreiche Einzelflaschen zu machen, die sich spätestens zwei Jahre später mit großem Medientamtam wiedervereinigen würden. Ihn interessierte das Bedürfnis, das hinter allem steckte. Die Beatles und die Stones hatten die Mädchen damals noch zum Pressweinen gekriegt, weil sie ruppig und brutal in ihre Klangwelten eingeschnitten waren, weil sie (verhältnismäßig) langhaarig und wild gewesen waren, innovativ und dennoch auf coole Weise lächelnd. Take That und die ganzen anderen Boygroups jedoch waren nicht mehr innovativ, besaßen keinerlei Kante mehr. Sie waren hübsch, trugen angenehme Songs, sie konnten tanzen und lächelten

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