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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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psionischen Ursprungs war, so scharf war – die Seele litt keine Schmerzen des Leibes. Die Seele konnte nur leiden an Feigheit und Verrat. Ich-bin-NICHT-feige, schrie Hiob tief drinnen sich selbst an. Ich bin vielleicht ein IDIOT, aber FEIGE bin ich NICHT!
    Er, der überhaupt keinen Glauben zu haben glaubte, weil für den wahrhaft Wissenden so etwas wie Glauben keinen Sinn ergab, war in diesen Momenten vielleicht der am inbrünstigst glaubende Mensch auf diesem Planeten. Sein Großvater, der das immer gewollt hatte, wäre jetzt stolz auf ihn gewesen, aber sein Großvater war alt und von dauernden Medikamenten behindert und bekam nichts davon mit.
    Hiob glaubte an das Spiel, an den Sinn des Spiels, an die Möglichkeit des Gewinnens des Spiels, an sich selbst, und wenn er nicht nur glaubte, sondern auch klaubte, dann auch an Widder und an Louise Brooks und an seinen Großvater und an Angel Heart und Black Narcissus und an die Musik von Pavement und daran, dass James Robinsons Starman eben der coolste Superheld aller Zeiten war.
    Was sind schon Haut und Fleisch?
    Das kriegt man schon alles wieder hin. Das ist ja nur die Oberfläche. Wenn dies hier ein Prognosticon war – und NuNdUuN hatte versichert, dass auch der fünfte und letzte Teil der Wette nur ein einfaches Prognosticon sein würde –, dann konnte man dies hier auch einfach überstehen. Ein paar Tage vielleicht als zerfetztes, knochenstarrendes Ding aus Clive Barkers hinterstem Oberstübchen, aber dann würde sich schon alles wieder fügen.
    Das Schwerste war der Anlauf. Den inneren Willenstrieb zu dem Effekt zu pushen, dass jetzt der Augenblick war, es zu tun. Wie wenn man ein Heftpflaster herunterreißt und weiß, man muss es schnell tun. Jetzt nein Jetzt nein Jetzt ist der Moment.
    Jetztztztztztztztztztzzzzzzzzzzzzzzzzzt.
    Hiob bewegte die peinüberkochenden Arme, bis die wunden Handflächen in Liegestützposition in Höhe der Schultern auf dem Teppich auflagen, und drückte den Oberkörper hoch. Die Oberarme zitterten vor Anstrengung und schwitzten echtes Blut aus tiefen Rissen. Der Tränenfluss kam jetzt ganz unbewusst, Hiob weinte nicht, o nein, das war nur ein physischer Reflex zur Entlastung, genau wie der eitrige Saft, der ihm aus dem Anus quoll. Hätte er geschrien, wären ihm die Stimmbänder zerrissen, also hatte es keinen Zweck. Als er mit seinem ganzen Gewicht kurz auf seinen wie verfault versehrten Unterschenkeln saß, wurde es schlimmer, aber es war zu spät. Er katapultierte sich entweder mit einem achtfachen Salto vorwärts durch die Milchglasfenster des Sterbens in ein Land dahinter, das noch keiner mit Seele vor ihm betreten hatte, oder es gelang ihm, in seiner eigenen Wohnung ganz einfach aufzustehen.
    Die einzelnen Etagen eines Bücherregalschrankes ragten über seinem Kopf auf, wie Leitersprossen boten sich ihm die Querbretter dar. Er griff danach, auch wenn ihn das die Handinnenflächen kostete, und begann sich hochzuziehen. Plastiktüten seiner Schlafunterlage, die die ganze Zeit über noch an seinem Rücken geklebt hatten, rutschten auf Fleischwassern abwärts. Er versuchte zu rekapitulieren, welche Visionen ihm der Überläufer Charles Otts damals eingespeist hatte. Der hatte ganz ähnliche psoriatische und neurodermitische Symptome von Haut- und Körperzersetzung empfunden. Den hatte ein Dämon vergewaltigt. Hiob schändete sich wenigstens selbst. Empfinde Hochmut, denk wie ein Sieger, denk wie NuNdUuN.
    Als sein ganzes Körpergewicht, schon fast aufrecht, nur immer noch ein wenig durchhängend, an einem der Regalbretter hing, wurde es dem für solche Übungen nun wirklich nicht konstruierten Schrank zu viel. Das ohnehin durch viel zu viele gnadenlos übereinandergestapelte Bücher schon fast überlastete Brett brach durch, Hiob knallte mit Kinn und Kiefer auf die darunterstehenden Bücher, während die von oben nachrutschten. Das Brett darunter splitterte ebenfalls. In einer Lawine aus gestohlenen Hardcoverbildbänden und ein paar besonders unverzichtbaren Familiengruftfolianten rutschte Hiob abwärts und dröhnte wieder zu Boden. Wie Ambosse knallten die Schreibwerke auf seinen zuckenden Körper. Der Restschrank neigte sich vor wie ein Betrunkener oder wie jemand, der mal gucken will, ob der, der da liegt, noch lebt, blieb aber stehen. Hiob verlor nicht die Besinnung. Er hatte sich auf die Zunge gebissen, aber wenigstens keine Zähne verloren oder den Kiefer gebrochen. Der Zungenschmerz war gut, weil anders als der des restlichen

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