Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Madame Oradour das Tarot legen lassen konnte.
Das Kartenhaus war ein nicht allzu großes, billiges Zelt, das mit der glosenden Leuchtreklame ringsum mühelos konkurrieren konnte, da es eine gewisse verbotene Sideshow-Atmosphäre verstrahlte. Es war schon nach Sonnenuntergang, der Lärm und die Lichter ringsum also auf Hochpegel, und vor dem Kartenhaus warteten außer Hiob nur noch zwei übergewichtige Hausfrauen auf Einlass, die nach der Handlesung oder Kartenlegung dann auch beide einigermaßen zufrieden und belustigt wieder zu ihren draußen wartenden, ebenfalls übergewichtigen Familien zurückkehrten. Die Madame verstand ihr Handwerk. Sie erzählte der zahlenden Kundschaft, wofür die Kundschaft zahlte.
Hiob ignorierte den Zigeuner- und Voodoo-Requisitenzirkus im Inneren des Zeltes. Es war die Madame, die ihn interessierte. Sie war etwa vierzig, attraktiv und sehr weiblich und entsprach mit ihren langen dunkelroten Haaren ziemlich genau dem Idealbild einer feministisch-selbstbewussten 90er-Jahre-Hexe. Die unvermeidliche Kristallkugel auf dem Tisch schimmerte hellblau, und die aufgedeckten Karten zeigten Figuren des Großen Arkanum.
»Madame Oradour«, stellte Hiob, im Eingang stehen bleibend, fest. »Ein ziemlich morbider Name für eine Rummelplatzattraktion.«
»Jeder von uns bekommt den Namen, den er verdient, Monsieur ... Montecchi?«
Hiob lächelte. Der Kampf war eröffnet. Er trat näher. »Die eingedeutschte Form von Montecchi ist korrekter, Madame. Montag. Mein Name ist Hiob Montag. Ich spiele das Spiel.«
»Ich habe von Ihnen gehört. Kommen Sie doch, setzen Sie sich. Für jemanden wie Sie ist die Zukunft selbstverständlich kostenlos.«
Als Hiob sich ihr gegenüber auf den dort stehenden, absichtlich unbequemen Schemel setzte, deutete sie mit rasselnden Armreifen auf den jodverfärbten Verband um seiner linken Hand.
»Ich hoffe, das ist nicht beim Handlesen passiert.«
Ihre Blicke trafen sich über dem himmelblauen Globus. »Nein. Handlesen aus der Linken würde Unglück bringen, das weiß ich. Ich bin auch nicht hier wegen meiner Hände, sondern wegen Ihrer Karten. Ich wollte Sie fragen, ob es ein Spiel gibt mit neun Karten.«
»Es gibt so viele Spiele, wie es Karten gibt, Monsieur Montag. Achtundsiebzig. Und noch ein paar mehr, die geheim sind und sehr gefährlich.«
»Ich weiß, dass man mit drei Karten spielen kann oder mit fünf, mit sieben oder mit zehn, aber mir geht es um neun. Acht aus der Vergangenheit und die neunte aus der Zukunft.«
»Ist das Wissen um die neunte Karte lebenswichtig für Sie?«
Hiob dachte einen Augenblick nach. »Nein. Es ist eigentlich nur Neugier. Ich möchte ... alle Möglichkeiten ausschöpfen, um das Spiel so gut wie möglich zu spielen, verstehen Sie? Ich bin mir nicht einmal sicher, dass es überhaupt funktionieren wird.«
Mme Oradour lächelte. »Es ist gut, dass Ihr Leben nicht von einer Karte abhängt, Monsieur Montag. Ich möchte nämlich nicht riskieren, diejenige gewesen zu sein, die Sie zu Fall gebracht hat, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen.«
»Sie selbst werden die Karten legen, ich werde sie Ihnen nur lesen. Da Sie ein großer Spieler sind, werde ich das Große und das Kleine Arkanum und die Hofkarten ineinandermischen – sehen Sie: so.« Ihre Hände bewegten sich mit der Grazie seltener Schmuckvögel, und die großen, stabilen Karten, deren Motive in etwa den standardisierten Bildern für das Rider-Waite-Deck des Golden-Dawn-Ordens entsprachen, aber noch ein wenig mittelalterlicher wirkten, glitten und flossen durch diese Hände wie ein in Puzzleteile zerschnittenes Origami. Abschließend strich sie Karten in einer Mondsichelform, deren Öffnung auf Hiob zeigte, auf dem runden Tischchen aus.
»Nehmen Sie die erste Karte, Monsieur Mond-Tag. Haben Sie keine Furcht, etwas Falsches zu tun oder etwas in Unordnung zu bringen. Die Karten kennen ihre Ordnung und verlassen sie niemals.«
»Also gut.« Hiob schluckte. Er setzte sich anders hin, starrte auf die mit neutralen Rosenmustern verzierten Kartenrücken, strich dann mit dem Zeigefinger der Rechten die Krümmung der Mondsichel entlang, zog eine Karte von halbrechts und deckte sie auf. Sie zeigte eine Art Tor aus vier Stäben, auf dem oben Früchte geflochten waren wie eine Girlande oder ein hängender Torbogen. Feiernde, bekränzte Menschen waren zu sehen, und im Hintergrund eine Burgfestung.
Mme Oradour beugte sich gleichfalls nach vorne. Ihre
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