Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
der Kelche«, erläuterte Mme Oradour. »Ein trauriger, in Schwarz gehüllter Mann betrachtet drei umgestoßene und ausgelaufene Kelche, während in seinem Rücken noch zwei weitere Kelche darauf warten, durch eine innere Brücke erreicht zu werden.«
    Die drei gestürzten Kelche. Aus zweien von ihnen floss Wein oder Blut, aus dem dritten jedoch etwas Grünes, vielleicht Galle oder einfach nur Leid. Tatsächlich war bei Sonja Zimmermanns Verbrennung kein Blut geflossen. Tatsächlich waren die beiden letzten Kelche etwas Besonderes gewesen, da schon nicht mehr richtig menschlich.
    »Die beiden letzten Kelche werden auch noch fallen«, sagte Hiob tonlos. Er räusperte sich. »Der Mann wird sich umdrehen und sein Werk vollenden.«
    Die Festung im Hintergrund konnte die Schwerstverbranntenzentrale sein, von der Bernadette ihm erzählt hatte. Das Aussehen des Dunkelgekleideten deprimierte ihn. Welch Kontrast diese dünne, jammernde Gestalt doch darstellte zu der Herrlichkeit des Sonnenengels. Hiob musste sich noch einmal räuspern.
    »Die verschütteten Kelche lasten schwer auf der Seele des Mannes«, dozierte die Kartenlegerin weiter, noch immer in das Bild vertieft. »Er täte gut daran, die letzten beiden Kelche nicht ebenfalls umzustoßen, sondern sie aufzuheben, zu bewahren und ihren Inhalt wertzuschätzen.«
    »Ja«, meinte Hiob bitter, »nur kriegt man für so was keinen Punkt. Der Typ trägt einen schwarzen Umhang, das heißt, er ist ein Assassine oder so was. Ein Ninja. Die Kelche leuchten golden. Harmonie ist bei diesen Unterschieden nicht möglich. Außerdem« – jetzt grinste er etwas bemüht – »ist es müßig, über verschüttete Kelche zu diskutieren. Es ist geschehen. Es ist vorbei. Karte sieben bitte, die Glückszahl.« Mit einiger Konzentration brachte er es fertig, so etwas wie vorfreudige Neugier zu empfinden für die Art und Weise, die das Tarot finden würde, um Nicole Mellentin darzustellen.
    Die Art und Weise war überzeugend und zwingend: Schwerter 8.
    »Wir sehen eine gefesselte junge Frau mit verbundenen Augen, die von entblößten Schwertern umzingelt ist und aufpassen muss, dass sie sich nicht schneidet oder sogar tötet. Nur der Weg nach vorne sieht frei aus, führt aber durch schlüpfriges, feuchtes Gelände. Im Hintergrund ist die Burg der Väter, die verlassen wurde und in die eine Rückkehr unmöglich ist.«
    »Die Dächer auch dieser Burg leuchten blutrot ...«
    »Ein Zeichen dafür, dass die Ehe der Eltern wahrscheinlich mehr Schrecknisse birgt, als es nach außen hin den Anschein hat.«
    Schwerter von derselben Art, die auch Magdaleen Diffringers Herz aufgespießt hat, verwunden Nicole und haben sie in diese ausweglose Situation gebracht. Hiob empfand große Zuneigung zu dieser Karte, dem bedauernswerten Mädchen darauf und ganz besonders für Nicole selbst. Für seine Herzschmerzen war das allerdings gar nicht gut. Mit angespanntem Gesicht fasste er sich an die linke Brustseite und massierte sich selbst. Anschließend, peinlich berührt vom besorgten Blick der Kartenlegerin, deckte er die achte Karte auf. Er nahm sie genau aus der Mitte.
    Es war ›Der Mond‹.
    »Hier stimmt etwas nicht«, murmelte Hiob. »Das dürfte jetzt eigentlich keine Karte aus dem Großen Arkanum sein, so wie bei den Liebenden. Das war eine ganz normale Aufgabe, ganz einfach im Grunde. Kleines Arkanum.«
    Mme Oradour lächelte nachsichtig. »Wir sehen einen Hund und einen Wolf, die zwischen den Türmen einer großen Stadt den Mond anheulen, Monsieur Mond-Tag. Der rote Hummer, der im Vordergrund aus dem Wasser steigt, bedeutet Schmerz. Diese Karte leuchtet deshalb, ist deshalb vom Großen Arkanum, weil die Schmerzen dieser Karte noch nicht ausgestanden sind. Sie sind unter Kontrolle, wie das ruhige, fast schlummernde Gesicht des Mondes zeigt, aber sie winden sich noch auf einem langen goldenen Pfad zum unbekannten Horizont.«
    Die Wahrsagerin hatte recht. Seine Hand schmerzte noch immer, obwohl die Nacht des Neufundländers jetzt über hundert Stunden her war. Er behandelte die Wunde auch immer noch mit gestohlenem Jod, weil sie eitrig nässte und er ungern seine Linke an den Wundbrand abtreten wollte.
    So weit, so gut. Bisher hatte alles makellos gepasst, und Hiob war von den Fähigkeiten der Karten – oder der Frau – vollkommen überzeugt. Mit der Gespanntheit desjenigen, der jetzt gleich seine unmittelbare Zukunft zu sehen bekommt, zog er die neunte und letzte verabredete Karte aus der rechten Flanke

Weitere Kostenlose Bücher