Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Stimme wurde tiefer, geheimnisvoller. Sie begann, ihre Rolle zu spielen. »Die Vier der Stäbe. Das Spiel beginnt. Wir sehen eine ausgelassene Feier, die durchschritten werden muss, um zu der dunklen Feste im Hintergrund zu gelangen. Diese Feste birgt ein furchtbares Geheimnis, ihre Dächer sind rot glänzend. Es ist dort Blut geflossen.«
Hiob nickte. Barranquilla. Der Karneval. Die Irrenanstalt. Perfekt. Die Madame war so gut, wie er gehofft hatte. Er nahm die zweite Karte und deckte sie auf, diesmal von ganz links.
»König der Stäbe«, benannte die Madame. »Wir sehen einen ernsten Mann auf einem Thron sitzen. Sein Schaffenszyklus ist vollendet, die Salamanderornamente auf der Lehne des Throns beißen sich in den Schwanz. Aber er trägt einen grünenden Stab in der Hand, ist also noch nicht bereit, sich zur Ruhe zu setzen. Der lebendige Salamander hier unten rechts verstärkt das Feuer, das noch in ihm lodert.«
Charles Otts auf dem elektrischen Stuhl, der Stab seine Verbindung zu dem Dämon. »Ist es möglich«, fragte Hiob, »dass der Salamander nicht in direktem Zusammenhang mit dem König zu sehen ist?«
»Dann würde der Salamander ein Feuer bedeuten, das man leicht übersehen kann, das man aber besser nicht unterschätzen sollte.«
Das passte. Der Salamander war dieser verfluchte Ausbrecher, John Baltimore Ingless. Ihn hatte Hiob unterschätzt, und wie eine glitschige Echse war er ihm durch die Finger geglitten. Der Gedanke daran reichte schon, um Hiobs Brust schmerzen zu lassen.
»Dieser Salamander – ist es möglich, eine Karte zu lesen, die mehr über ihn aussagt? Ich wüsste gerne, ob es hier noch Versäumtes nachzuholen gibt, oder ob man den Salamander auf sich selbst beruhen lassen kann.«
»Das wäre eine zweite Karte aus der Zukunft und würde unser augenblickliches Spiel durchbrechen. Möchten Sie das Spiel abbrechen?«
»Nein.« Nicht jetzt. Nicht seinetwegen. »Machen wir erst mal weiter mit den neun Karten. Bis jetzt läuft es sehr gut. Die nächsten drei Karten müssten allerdings zusammengehören.«
»Dann ziehen Sie drei gleichzeitig. Das ist kein Problem.«
»Gut.« Er nahm drei ohnehin nebeneinanderliegende Karten, ebenfalls aus der linken Seite. Es waren ›Die Liebenden‹, ›Stäbe 9‹ und ›Schwerter 3‹.
»Die Liebenden.« Mme Oradour lächelte. »Das ist eine meiner Lieblingskarten und die erste des Großen Arkanums in diesem Spiel. Ein besonderer Spielzug also?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Nun, wir sehen ein unbekleidetes Liebespaar, beide durch einen Berg, also Entfernung, getrennt. Die Frau ist von der Schlange der Sünde bedroht, der Mann steht vor einem brennenden Baum, befindet sich also in gefährlicher Umgebung. Auf sie beide Einfluss nimmt ein gigantischer Engel, der der Sonne gleicht, aber er hat blutrote Schwingen, und ich würde ihm nicht trauen.«
Hiob sah sich den Engel genauer an. So also sah NuNdUuN aus im Spiegel des Tarot. Er hatte ein schönes, weiblich-männliches Gesicht und grün und rot flammende Haare, und seine Flügel waren weiter als die Sonne selbst, die wie ein Heiligenschein über seinem Kopf strahlte. Es war ein ehrfurchtgebietendes, für Hiob geradezu markerschütterndes Bild. Wie konnte man als einfacher Magus gegen so etwas angehen?
»Die anderen beiden Karten zeigen einen im Kampf verwundeten Krieger, der zwischen sich und dem Rest der Welt eine Art Palisade errichtet hat, und ein von drei Schwertern durchbohrtes Herz. Die Liebe der Liebenden wird also durch zweierlei Gewalt zerstört: die Gewalt, die der Krieg dem Söldner antut, und die noch furchtbarere Gewalt der verratenen, ermordeten Gefühle.«
Die drei Schwerter. Die Gliedmaßen dreier Blutsverwandter, die sich in Magdaleens rotes Fleisch rammen. Die Einsamkeit des Anton Krantz. Und darüber das unerträglich gleichmütige Antlitz NuNdUuNs, der der zertrümmerten Liebe seinen Segen erteilt. Der graue Himmel und der Regen hinter dem getöteten Herzen waren die Teilnahmslosigkeit des Dorfes. Niemand hatte etwas gesehen.
Die Karte mit dem schrecklich zerstochenen Herzen verstärkte noch das ohnehin schon unangenehme Ziehen in Hiobs Brust. Er konnte es auf Dauer nicht ertragen, zu deutlich an das Blei in seiner Pumpe erinnert zu werden. »Weiter«, keuchte er, Übelkeit niederhaltend. »Die sechste Karte.«
Die sechste Karte war erstaunlich. Ein einziges, ruhiges Bild symbolisierte den ganzen komplexen Horror, den Bernadettes Rudel für ihn bedeutet hatte.
»Die Fünf
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