Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
mostrichhaftes Neon auf, und Hiob – zum Buckligen gekrümmt neben Remmert stehend – konnte die zwölf Gestalten hier und dort sitzen sehen. Sie alle guckten desinteressiert nach vorne oder in Richtung der undurchsichtigen Scheiben und beachteten weder ihn noch Remmert. Sie fuhren einfach Bus. Nur zwei von ihnen – ein hutzeliges Rentnerpaar, das sich normalerweise wohl nie ins Obergeschoss eines Busses quälen würde – saßen zusammen auf einer Bank, die anderen waren alle ohne erkennbares System auf den Sitzbänken verteilt. Ein Schwarzer saß ganz vorne, der fiel sofort auf, eine junge Frau sah verdammt nach einem sehr sehr kalten Turkey aus, aber ansonsten waren es alles normale Bürger, wie man sie in jedem anderen öffentlichen Verkehrsmittel auch hätte sitzen sehen können. Wahrscheinlich die unglücklichen Opfer eines Verkehrsunfalls, erklärte sich Hiob die Situation. Wahrscheinlich hatte irgendein Lastwagen ein paar Stahlrohre verloren, die waren durch die Scheiben des dahinter fahrenden Busses geplatzt und hatten zwölf Unglücksraben durchspießt. So kam man halt auch in die Hölle: profanes Pech. Und er musste jetzt den Seelentröster spielen oder sonst wie dafür sorgen, dass die Toten einfach tot blieben und nicht im Afterlife auf weißglühende Räder geflochten wurden, um endlos von säuretriefenden Kakerlakenschwärmen vergewaltigt zu werden.
»Na schön. Wo fang ich an?«
Remmert rieb sich begeistert die klammen Hände. »Du hast genau den Ansatz, von dem man mir erzählt hat: ein echter Working Class Hero.« Remmert lachte sich halbtot über diesen Einfall, leider nur halb. »Also, gehen wir am besten erst mal nach hinten durch, und dann fange ich von hinten her an, dir die einzelnen Protagonisten vorzustellen, damit du weißt, mit wem du es zu tun hast und für wessen Rettung du verantwortlich zeichnen darfst. Die Sitzordnung hat im Übrigen nichts zu bedeuten, von hinten nach vorne durchzugehen, ist also auch keine Steigerung oder so was, aber irgendwo müssen wir ja anfangen.«
»Wird das jetzt ein längerer Monolog?«, fragte Hiob, während er Remmert durch den leicht schwankenden Mittelgang folgte.
»Nicht länger als nötig. Im Gegensatz zu deiner Theorie werde ich nämlich nicht nach Stunden bezahlt, sondern nach Leistung.«
»Dann hat man dich ja schön übers Ohr gehauen. Kriegen die eigentlich nichts mit?« Hiob wischte mit der Hand vorm Gesicht eines jungen Langhaarigen herum, der aber nur weiter emotionslos aus dem Fenster stierte.
»Gute Frage. Sagen wir’s mal so: Sie sind nicht wirklich hier. Sie leben irgendwo in dieser Stadt schlafend ihr kleines Leben und machen währenddessen, ohne dass sie es so richtig mitbekommen, die Fahrt zum Wiedenfließ mit.«
»Die Fahrt zum Wiedenfließ ist also nur eine meta-phorische Visualisierung ihrer gesamten Lebensumstände.«
»Genau richtig.«
»Und das hier sind nur... »
»... Projektionen, könnte man sagen«, half Remmert eifrig aus. »Deswegen reagieren sie natürlich auch nicht auf uns.«
»Logisch. Die Leute sind also nicht gestorben, sie leben noch, leben aber Richtung Hölle, und ich muss sie retten. Ist das nicht ein bisschen viel? Soll ich für einen einzigen Prognosticonspunkt in zwölf Lebensläufe eingreifen und sie zum Besseren hinleiten? Das ist ja fast eine Lebensaufgabe. Ich bin nicht Mutter Theresa.«
»Nein, du versteht’s nicht, du denkst nicht richtig mit. Wir bieten dir hiermit die einmalige Chance, alle zwölf gleichzeitig zu retten, mit wenig Einsatz, wenig Mühe, sozusagen en passant. Die Gnade NuNdUuNs ist unerschöpflich, er bemüht sich stets, sich so weit wie möglich zu dir hinabzubeugen.«
»Ho-ho-ho.«
Sie standen jetzt vor der hintersten Sitzbank. Ein unscheinbarer Mittvierziger mit Kinn- und Oberlippenbart war Fokus ihrer Aufmerksamkeit. Er sah nicht durch die Rußscheiben, sondern blickte fast traumverloren vor sich hin.
»Also, bist du bereit jetzt, Spieler Montag? Dann fange ich nämlich mit ihm hier an. Ich mache dich mit ihm vertraut, damit du wertschätzen kannst, welche Aufgabe du hier hast.«
»Er ist bestimmt Finanzbeamter und muss deshalb ins Fließ.«
»Gar nicht so weit ab vom Schuss. Dieser sympathische Herr in den besten Jahren geht tatsächlich einem geregelten Beruf nach. Kein Grund zur Klage. Seine Nachbarn würden, über ihn befragt, äußern: Er war immer freundlich, immer still. Nur des Nachts hat er manchmal aufgeschrien, aber das müssen wohl Albträume gewesen
Weitere Kostenlose Bücher