Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Stadtteil Berlins war schon Winter. Das konnte es also nicht sein. Dennoch waren selbst die Fenster blind von aschener Schwärze, und als das schnaufende Ding auf die Yorckstraße einbog und tosend auf Hiobs Haltestelle zuhielt, konnte er das essigartige Aroma erriechen, das den ganzen Wagen wie eine Aureole umhüllte.
Das Linienbezeichnungsschild zeigte – kaum zu erkennen – ein ausgeblichenes E. E für Einsetzer, ein Bus, der die Lücke zwischen zwei anderen auffüllte. Das Destinationsschild über der Frontscheibe war beim besten Willen nicht zu entziffern, es konnte Heiligensee heißen oder auch St-Petri-Schnee oder Waterloo. Vielleicht auch einfach nur Betriebsfahrt. Ansonsten war auch die Frontscheibe fast völlig von dunkelgrauem Staub verdreckt, ein Wunder, dass der Fahrer, der nur im beunruhigenden Leuchten einiger grüner und roter Kontrolllämpchen an seinem Steuerrad als verzogener Umriss zu erahnen war, überhaupt sehen konnte, wohin er fuhr.
Der erste Instinkt trieb Hiob dazu, ein paar Schritte von der Bordsteinkante zurückzuweichen, als der monolithische Doppeldecker vor ihm anhielt. Aber dann siegte sein naturgegebener Fatalismus. Das Aroma des Busses war unschwer zu identifizieren, er selbst war an dieser Haltestelle der einzige zusteigewillige Gast, und dies hier war garantiert kein Bus, der in irgendwelchen Dienstplänen der BVG verzeichnet war.
Mit dem pneumatischen Zischen einer Hochdruckschleuse öffnete sich die Fahrertür, indem sich auf altmodische Weise beide Hälften ziehharmonikamäßig zur Seite falteten.
Der Fahrer sah nicht gerade wie der typische Berliner Buskutscher aus. Er war höchstens dreißig, hatte eine konservative dunkelblonde Igelfrisur, ein hanseatisches Gesicht mit breiter Himmelfahrtsnase und noch breiterem Grinsen, er war lang und schlaksig und trug einen ziemlich langweiligen graugrünen Anzug und eine dunkelgraue Krawatte über einem weißen Hemd, das zwei Nummern zu groß für ihn war. Er sah aus wie der typische Banklehrling oder der typische jung in die Führungsriege aufgestiegene Ex-BWL-Student-Jetzt-Macher-Wessi, was im Grunde genommen ja ein und dasselbe war. Aber er hielt das Lenkrad des Höllenbusses mit beiden Händen und griente in der von unten kommenden Funzelbeleuchtung dämonisch zu Hiob hinaus: »Na, wie sieht’s aus, Spieler Montag? Kleine Kreuzfahrt gefällig? Wenn du einsteigst, gilt es als Prognosticon, wenn du keine Traute hast, verschwinde ich wieder.«
»Was bist denn du für einer? Ein Busfahrerdämon?«
»Tut doch gar nichts zur Sache. Also was ist nun? Einsteigen oder nicht? Zeit schinden bringt mich nicht weiter, ich habe einen strikten Fahrplan einzuhalten.«
»Na gut, warte. Aber keine Fisimatenten, während ich einsteige.«
»Heeh«, wies der Fahrer den Verdacht mit gegrinster Entrüstung von sich, »seh ich etwa aus, als wäre ich nicht vertrauenswürdig?«
Als Hiob die Stufe aufenterte, berührte er kurz die rußige Außenwand: Sie war warm wie lebendiges Fleisch, aber rostig und rissig unter dem Dreck. Hinter ihm knitterten sich mit überlautem Ächzen und Zischen die Türseiten wieder auseinander und schlossen hermetisch ab. Gleichzeitig rollte eine Neonröhren-Sequenz durch das Untergeschoss und leuchtete es flackernd und merkwürdig gelblich bis nach hinten hin aus, und der Fahrer gab Gas. Schnaufend und mit dem Zittern eines muskelverkrampften Leibes setzte sich das Bus-Ungetüm in Bewegung. Die dunkelgrünen Kunststoffsitze des Untergeschosses waren ausnahmslos leer, sie beide waren allein hier unten.
»Einen Moment noch, dann bin ich für dich da«, meinte der Fahrer mit zwischen die Zähne geklemmter Zungenspitze. »Setz dich solange ruhig auf einen der Behindertenplätze hier.« Er lenkte an dem schweren Rad herum und wechselte mehrmals die Fußstellung, bis er den Bus wahrscheinlich in der Straßenmitte auf Kurs gebracht hatte. Da man aber aufgrund der Fensterverkrustung keinen Deut nach draußen sehen konnte, war das schwer zu bestätigen.
Hiob blieb, sich an einer Plastikschlaufe festhaltend, stehen, bis der Fahrer fertig war. »So.« Der Fahrer nahm die Hände vom Lenkrad, erhob sich mit knackenden Kniegelenken von seinem Sitz, wandte sich Hiob zu und streckte ihm grinsend die Rechte hin: »Mogens Remmert mein Name, sehr erfreut.«
»Es ist nicht zufällig nötig, diesen Bus zu lenken?«
»Wozu denn? Es geht immer geradeaus. Keine Probleme.«
Hiob, der versuchte, sich vor Augen zu führen, dass die
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